„Die Jungfrau von Orleans“ von Friedrich Schiller an den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin, Regie Jürgen Gosch

 

 

 

Braucht nationale Versöhnung ein Idol?

 

Wozu heutzutage Friedrich Schillers romantische Tragödie »Die Jungfrau von Orleans« aus der Schublade holen? Jürgen Goschs Inszenierung an den Kammerspielen des Deutschen Theaters ist zugute zu halten, daß sie dem Anspruch dieser poetischen Legende spielerisch und auch sprecherisch gerecht wird. Ausdruck der Geste und Wohllaut des Verses finden sich im wesentlichen zu überzeugender Harmonie. Das will erst einmal gekonnt sein.

Also das alte Stück nicht kritisch als Farce hingestellt, sondern mit einfühlsamem Verständnis zu theatraler Renaissance geführt. Ging es Jürgen Gosch um zwar schönen, aber leeren Schein? Nehme ich die Szene seines Bühnenbildners Johannes Schütz, den zarten Pastellfarbton einer Gassenbühne und den hellen Boden des halbrund in den Zuschauerraum vorgeschobenen Podestes, ist da schon ein fast ätherisch reines Spiel herausgefordert, das sich selbst genügen könnte. Allerdings stören die Kostüme, insonderheit die wie aus bunter Pappmache gefertigten Rüstungen der Herren Ritter, welche obendrein ständig ihre weißen Unterhosen vorführen, verziert mit Strumpfbändern (Kostüme Dorothea Katzer). Das macht stutzig. Der, sagen wir mal, farbliche Wohlklang wird durch die Kostüme komisch gebrochen. Solch Disharmonie findet sich noch mehr. Etwa, wenn auf ansonsten leerer Bühne ganz im Hintergrund eine Mini-Silhouette von Reims zu erblicken ist, über die große Krieger von hinten kommend gnadenlos hinwegsteigen. Spätestens da wird klar, daß man nicht mit schönem Schein betört werden soll.

Wozu dann aber Schillers Johanna? Etwa gar, um sich endlich einmal wieder an mythisch heldischem militärischem Schlachten laben zu können? Das französische Jungfräulein geht bekanntlich nicht gerade gnädig mit den englischen Eindringlingen um. Darauf läßt sich antworten, daß Gosch, Schiller getreulich folgend, zwar der Johanna religiös-verklärte Militanz nicht mindert, sie aber auch nicht forciert. Mit Solveig Krebs hat er eine Schauspielerin besetzt, die vom Typ her ganz selbstverständlich das redliche Mädchen vom Lande verkörpert; ein wenig naiv und linkisch, das lange Haar wirr um die Schultern hängend, den Blick kaum gen Himmel gerichtet, sondern brav begeistert und unschuldig in die Welt.

Dies Kind der Natur, nicht robust zwar, eher zierlich, ficht seinen göttlichen Auftrag aus, wacker und bieder wie Schafehüten für die Familie. Ist ihre nationale Leidenschaft vielleicht hausbacken? Zumindest kommt sie nicht hysterisch daher oder gar gefährlich, sondern mit fröhlich-aufrichtigem Pathos. Dieser Johanna Handeln, selbst wenn sie ihre Fahne recht eigentlich unbeholfen-komisch in die Luft hält, ist in gewisser Weise von auffallender Gesundheit - wie just in Zeiten, als nationale Eintracht eines Volkes noch optimistisch mit Zukunft verknüpft war und nicht belastet mit verbrecherischer Vergangenheit.

Vermutlich deshalb griff Jürgen Gosch aufs Stück zurück: Um über Schwierigkeiten zu erzählen, nationale Eintracht zu erzielen. Jedenfalls führt er von der Fabel vor, was dazu an Widersprüchen in ihr steckt. Zum zentralen Vorgang wird die von Johanna herbeigezwungene Aussöhnung Karls des Siebenten mit dem abtrünnigen Philipp, dem Herzog von Burgund (Stephan Grossmann). Sorgfältig ausgespielt wird auch des Dauphins Zaudern. Der Karl von Ulrich Matthes ist kein dekadenter Schwächling, sondern ein standhaft friedfertiger Mensch. Er zieht wirklich erst in den Krieg, nachdem ihm Johannas Euphorie keine andere Möglichkeit mehr läßt. Und sehr glücklich über gewonnene Macht scheint er dann an der Seite seiner schönen Geliebten (Katharina Linder als Agnes Sorel) nicht zu sein. Der mickrige Krönungszug ist alles andere als ein Triumph.

Goschs Spiel stellt unaufdringlich die Frage: Braucht es ein Idol, gar ein religiös geprägtes, um nationale Versöhnung zu erreichen? Johanna, ob nun mit oder ohne himmlischen Beistand, scheitert tragisch. Liebe zu einem Ausländer wird ihr zum Verhängnis. Vielleicht hätte das treuherzige Mädchen einfach ein wenig schummeln sollen, als ihr Vater (Horst Lebinsky) sie doktrinär verhört.

Lauterkeit, zeigt sich, rentiert sich nicht. So etwas schwant selbst dem Feldherrn Talbor (knorrig-weise Jürgen Holtz), dem auf dem Schlachtfeld sterbenden englischen Okkupanten.

Auch Bildungstheater kann nachdenklich machen.

 

 

 

 

Neues Deutschland, 24. September 1998