4. Alltag
der Ausbildung (1920-1933)
Absolventen des 25. Jahrganges
4.11 Bühne der Jugend
In den Jahren der anhaltenden Wirtschaftskrise wurde es
für die Absolventen immer schwerer, Engagements
zu finden. Selbst diejenigen, die im ersten Berufsjahr untergekommen
waren, hatten oft Schwierigkeiten, sich zu behaupten. Auch auf der
Generalversammlung der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger wurde das Thema debattiert. «Als Grundübel des Schauspielerelends stelle sich immer mehr der übermäßige Zustrom neuer Bewerber heraus. Man
gehe erfreulicherweise jetzt dazu über, eine von Unternehmern und Schauspielern beaufsichtigte
Vorprüfung einzurichten...» (4.80) Noch eine weitere Hürde wurde errichtet.
Das «Abitur der Schauspielschüler»
nannte «Der Abend» eine zusätzliche Prüfung für Absolventen und notierte: «Bei
der riesenhaften Berufsnot der Jünger Thalias müßte man
eigentlich jedem Kandidaten von Anfang an
zurufen: Hände weg! Aber der Nachwuchs
drängt — taub und stumm für alle Warnungen
— mit seiner jugendlichen Begeisterung
unentwegt vorwärts. Zweimal im Jahre, im Frühjahr und im Herbst, finden vor einer Prüfungskommission, bestehend
aus Mitgliedern der Bühnengenossenschaft und des Bühnenvereins, Examina... der "Schulentlassenen" statt.» (4.81)
Die Zahl derjenigen, die selbst nach
erfolgreicher Ausbildung wieder aus dem Beruf
ausschieden, war groß. Eine Statistik der Reinhardt-Schule,
1930, anläßlich ihres 25jährigen
Jubiläums zusammengestellt, liest sich so:
«Während der abgelaufenen 25 Jahre haben 670 Schüler die Schauspielschule
engagementsreif verlassen. Einschließlich der 18 Schüler des laufenden
Schuljahres sind es 688. Davon konnten nicht
festgestellt werden oder sind verstorben 225. Von den verbleibenden 445 sind heute noch etwa 200 künstlerisch tätig. Aus den
beiden ersten Jahrgängen sind noch 10 bühnentätig.
Durchschnittlich 21% gehen nach einem bis zwei Jahren von der
Bühne ab, nur 7% (auf Grund
der Schülerzahl der ersten 5 Schuljahre)
bleiben mehr als 20 Jahre im Beruf.» (4.82)
Berthold Held hat sich immer bemüht,
seines Erachtens besonders talentierte
Absolventen dem Deutschen Theater anzubieten. Dabei
setzte er sich für seine Schüler ein. An die Sekretärin des Direktors des Deutschen Theaters schrieb er: «Ich lasse den Vertrag von Fräulein Hartseil unterschreiben, der ja leider wieder nur für 9 Monate ausgestellt ist, so daß gerade bei den allerkleinsten Gagen um einen
Monat gespart wird.» (4,83) Offenbar war es üblich, die
Anfänger, die sich nicht wehren konnten, erst einmal unter Tarif einzustellen.
Im Zusammenhang mit Querelen, die
Held wegen der Unterbringung der Schule im Deutschen Theater mit Direktor Adamec auszutragen hatte und weswegen er Reinhardt vergebens um
Unterstützung bat, (4.84) berichtete er seinem
ehemaligen Freund auch über eine Idee, der er in seinen
letzten Lebensjahren recht glücklos viel Kraft widmete: «Die mir viel Sorge
machende Behandlung der Anfänger in Berlin, worunter einige ganz
außerordentliche, beträchtliche Begabungen sind, die unter mangelnder Beschäftigung
seelisch und künstlerisch leiden, veranlaßte mich vor drei Jahren zur Gründung
der "Bühne der Jugend", wo der schauspielerische Nachwuchs
Gelegenheit zur Betätigung finden sollte.» (4.85)
Helds Initiative fand wenig Gegenliebe. Es kam zu nur
einer auch öffentlich gezeigten Inszenierung. Mit Datum vom 4. März 1928 ist die Uraufführung des
Schauspiels «Mörder für uns» von Willi Schäferdiek (Regie: Fritz Eckert)
registriert. (4.86) Die Berliner Presse
reagierte aufmerksam. In der «Berliner Börsen-Zeitung» schrieb Julius Knopf:
«Das erste Experiment der "Bühne der Jugend" (diese hervorgegangen
aus der Schauspielschule des Deutschen Theaters), und dieses Experiment ist
gemacht an einem nicht untauglichen Objekt. Untauglich schon um dessentwillen
nicht, weil junger Schauspielernachwuchs sich in jugendlichen Rollen vorstellen
und stellenweise austoben durfte...» (4.87) Max
Hochdorf, Kritiker des sozialdemokratischen «Vorwärts» und Verfasser der
Jubiläumsschrift der Schule zu ihrem 25jährigen Bestehen, schrieb lakonisch:
«Zöglinge der Schauspielschule des Deutschen Theaters, lauter unbekannte Damen
und Herren, treten für den jungen Dichter Willi Schäferdiek ein... Die jungen
Schauspieler, die mitwirkten, schickten als Anführer Carl Balhaus vor, der
offenbar über Sprechtechnik verfügt.» (4.88) In der
«Berliner Morgenpost» nahm Karl Escher Stellung: «Ernst und Achtung... gebührt
der "Bühne der Jugend"... Es sind lauter junge Menschen, eben der
Schauspielschule entwachsen, die vielfach ihre
künstlerische Leistung noch durch Begeisterung ersetzen...» (4.89)
Herbert Jhering würdigte: «Die Bühne der Jugend: sie ist
aus der Schauspielschule des Deutschen Theaters entstanden. Sie könnte der
Anfang eines neuen Begriffs Schauspielschule sein. Nicht nur: Unterricht,
Rollenstudium, dann Engagement an irgend einem Theater. Sondern: Zusammenhalt,
Studio, sich Wiederfinden zu gemeinsamer Arbeit; dazugehörige Regisseure,
dazugehörige Dichter. Der Ausführung stehen viele Schwierigkeiten entgegen. Sie
ist nur im Ansatz erkennbar. Bis jetzt hat kein Berliner Theater ein Studio
fertig gebracht. Keine organische Förderung der jungen und versteckten
Schauspieler. Kein Boden, auf dem weitergearbeitet werden könnte. Es wäre also
ungerecht, dies allein von der Schauspielschule des Deutschen Theaters zu
verlangen.» (4.90)
Neben den bereits genannten Absolventen der ersten drei
Jahrzehnte sei hier noch erinnert an: Roma Bahn, Wolf Beneckendorff, Gerd
Fricke, Annemarie Haac, Franz Nicklisch, Franz Schafheitlin, Ernst Waldow,
Adolf Wohlbrück und Hans v. Wolzogen.
Leontine Sagan, Schauspiel Paul Mürich, Ballettmeister
Heinz Dietrich Kenter, Schauspiel Emil Lind, Schauspiel
Willy Buschoff, Stimmbildung und Sprechtechnik
Mary
Hahn, Stimmbildung und Sprechtechnik
Max Gülstorff, Schauspiel
Hermann Vallentin, Schauspiel
Anmerkungen:
4.80 Berliner Morgenpost, 20. März 1929 Zurück
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4.81 Der Abend,
Berlin 18. April 1929
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4.82
Festschrift, a.a.O., S. 84 Zurück zum Text
4.83 Brief v. Berthold Held an Gustl Mayer v. 28.3.1929, HS-Archiv, Bl. 525 Zurück zum Text
4.84 Briefwechsel
zwischen Berthold Held und Max Reinhardt, HS-Archiv, Bl. 488/496, 497/498, 502 Zurück zum
Text
4.85 Brief v.
Berthold Held an Max Reinhardt v. 6.1.1930, HS-Archiv, Bl. 490 Zurück zum Text
4.86 Vgl.
Heinrich Huesmann, a.a.O., eine von
Huesmann für den 17. März 1929 notierte zweite Uraufführung («Putsch» von Peter Martin Lampel) durch die «Bühne der Jugend» wird von der Berliner März-Presse des Jahres 1929 nicht
bestätigt. Zurück
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4.87 Berliner
Börsen-Zeitung, 5. März 1928 Zurück zum Text
4.88 Vorwärts,
Berlin 5. März 1928 Zurück
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4.89 Berliner
Morgenpost, 7. März 1928 Zurück zum Text
4.90 Berliner
Börsen-Courier, 5. März 1928 Zurück zum Text
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