„Die heilige Johanna“ von Bernard Shaw am Renaissance-Theater Berlin, Regie Gerhard Klingenberg

 

 

 

Das Mädchen Johanna mit heißem Draht zu Gott

 

Im Berliner Renaissance-Theater ist eine graue Brecht-Gardine gezogen. Dahinter etliche Kostüme auf Stangen. Aber es handelt sich nicht um Peachums Bettlergarderoben. Der Vorhang öffnet sich für Bernard Shaws dramatische Chronik „Die heilige Johanna". Und Kledasche und Requisiten, die Bühnenbildner Jörg Zimmermann im Guckkasten als Background verteilt, lassen sich vielleicht so deuten: Zwar wechseln die Menschen im Laufe der Historie ihre Kleidung, aber ihr Verhalten ähnelt sich immer wieder.

Hier: Auf der einen Seite formieren sich über aufkommende nationale Schranken hinweg die Machthaber, Kirche und Feudalfürsten. Auf der anderen Seite steht ein Mensch, der sich dem Ehrgeiz irdischer Hierarchie und Ideologie nicht beugt: Johanna.

Regisseur Gerhard Klingenberg inszenierte den Konflikt prononciert. Er gab keine - wie das Shaw zwar empfahl - pointiert ausgespielte Geschichte in konkretem Milieu. Er arbeitete, auch mit komprimierenden Strichen, an der rhetorischen Auseinandersetzung, offenbarte das zermalmende Räderwerk der Behörde.

Dabei sind die das Gesetz vertretenden alten Männer von vornehmer Konzilianz. Es geht ihnen durchaus um das Seelenheil der Johanna. Nur der Engländer schert sich darum nicht. Graf von Warwick, von Charles Regnier als cooler britischer Gentlemen hingestellt, kämpft mit seinem Geld, also sehr selbstbewußt, gegen die Gefahr des Nationalismus, die angeblich von Johanna ausgeht. Und die Repräsentanten der Kirche rudern gegen die Gefahr des Protestantismus. Peter Cauchon ist bei Hans Teuscher ein besonnener, aber dogmentreuer Bischof von Beauvais. Der Inquisitor ist bei Hartmut Reck ein gar umgänglicher Teufelsaustreiber. Kaplan Stogumber, gespielt von Bernd Rumpf, ist ein eifernder, unduldsamer dummer Dogmatiker.

Die vier Herren, so unterschiedlich in ihrem Vorgehen, sind sich einig gegen die vermeintliche Ketzerin, die ihren eigenen heißen Draht zu Gott behauptet. Dieser fuchsige Shaw meint natürlich nicht allein ein naives Mädchen, das - unter mißachtender Umgehung der Kirche - seiner Gottesvorstellung lebte, und damit mittelalterliche Konvention bedrohte. Shaw meint durchaus all jene aus dem Volke, die irgendwann aufmüpfen gegen die festgefügte Macht von Staat und Kirche.

Insofern ist es schon bedauerlich, daß der Regisseur den Epilog strich. Denn dort wird einer der Sätze gesprochen, für die Shaw sein Stück auch schrieb: „Nun", sagt der Soldat, der Johanna das Kreuz auf den Scheiterhaufen reichte, „was sind sie alle miteinander wert, diese Könige und Feldherren, Bischöfe, Gesetzgeber und Ihresgleichen? Sie lassen einen einfach in der Gosse verkommen..."

Johanna - allein gegen eine mafiose Machtstruktur. Beatrice Bergner gibt geradlinig das Bauernmädchen. Ihre Johanna ist nur anfangs noch einmal nachdenklich, dann argumentiert und streitet sie unverdrossen, zunehmend fanatisch, fast wie ein selbstbewußter Teenie unserer Tage. Mit dem der machtscheue Dauphin (Matthias Heidepriem) durchaus auf Distanz verkehrt.

 

 

 

Neues Deutschland, 13. Januar 1992