„Johann Faustus“ von Hanns Eisler am Berliner
Ensemble, Regie Manfred Wekwerth und Joachim Tenschert
Der Teufel fordert zum Applaus
Bühnenzauber Im Berliner Ensemble. Naives,
kurzweiliges Volkstheater mit tieferer Bedeutung, vielschichtig mit seinen hintergründigen
Anspielungen, eindeutig in der Aussage. Es fängt an mit einem phantastischen
Mummenschanz der Geister aus Plutos Unterwelt, und es ergötzt die Zuschauer bis
hin zum Schluß, wenn der Teufel dreist zum Applaus auffordert. Dieser „Johann
Faustus" von Hanns Eisler erweist sich in der Regie von Manfred Wekwerth
und Joachim Tenschert als ein großer literarischer Wurf, sehr wohl geeignet für
eine Schauspiel-Inszenierung. Mich jedenfalls hat nicht gestört, daß die Texte
eigentlich für eine Oper geschrieben wurden. Dies ist gewiß auch das Verdienst
der Regisseure. Ihnen gelang eine artifiziell genaue, geistig klare und
durchweg lebendige Aufführung. Eislers kämpferische Parteilichkeit wie sein
bissig-salopper Humor kommen ins Spiel, mit einem ironischen Augenzwinkern und zugleich mit schönem Ernst.
Eislers Faust. Umstritten vor Jahren, nun
also auf der Bühne. Sein streitbarer Humanismus ist nicht der
progressiv-bürgerliche Goethes. Es ist der eines überzeugten Marxisten. Eisler
stellt mit seiner Faust-Version jene Wissenschaftler von Rang an den poetischen
Pranger, die mit reaktionärer Macht paktieren. Eine nach wie vor hochaktuelle
Problematik. Sein Faust wird nicht erlöst, er fährt in die Hölle,
erbarmungslos. Eisler verzeiht ihm also nicht. Doch er gestaltet ihn als
Menschen, eben widersprüchlich. Und erfreulicherweise verfremdet Ekkehard
Schall diesen Faust nicht distanziert, sondern erschließt ihn in dessen
existentieller Gewordenheit in die Klassenkämpfe seiner Zeit. Verstört und
rastlos sucht Schalls Faust einen Weg, nachdem ihm die Wissenschaft unbrauchbar
scheint und nachdem er zwischen Luther, Müntzer und den Bauern letztlich allein
und ratlos bleibt. Ekkehard Schall spielt immer den berechnenden Ruhmsüchtigen,
er gibt aber stets auch gleichsam Einblick in die wunde Seele dieses Faust.
Nicht etwa, daß er ihm damit Verzeihung erwirkt beim Publikum. Er erzwingt
tieferes Nachdenken, weil man bei aller Zurückhaltung doch auch mitempfinden
muß. Eine wahrhaft reiche Menschendarstellung. Im übrigen agieren alle
Darsteller mit souveräner komödiantischer Akribie: u. a. Michael Gerber als
Mephisto, Martin Seifert als Pluto und Herr von Atlanta, Hans-Joachim Frank als
Wagner, Annemone Haase als Herrin von Atlanta, Carmen-Maja Antoni als Grete.
Und Renate Richter als Hanswurst, bei Eisler nicht gerade ein fortschrittlicher
Vertreter aus der klassischen Gilde der Volkstheaterfiguren, aber in ihrer
Darstellung immerhin von frischer, ansteckender Ursprünglichkeit. Insgesamt,
noch einmal sei es gesagt, ergötzendes, anspruchsvolles Volkstheater.
Junge Welt, 2. November 1982