„König Johann“ von Shakespeare am Theater im
Palast Berlin, Regie Vera Oelschlegel
Gerangel um die Krone
Was kümmern uns achthundert Jahre zurückliegende Kriegsquerelen zwischen England, Frankreich und dem Papst? Reineweg nichts. Gäbe es nicht die Historie „König Johann" des großen Shakespeare, der selbst ferne Haupt- und Staatsaktionen, die ehrgeizigen königlichen Legitimationsstreitigkeiten in seine unnachahmliche theatralische Welt zu heben wußte.
Unmittelbarer, für uns Heutige praktikabler
Erkenntnisgewinn ist wohl kaum daraus zu schöpfen. Was nicht drin ist im Stoff,
vermag ich nicht herauszulesen. Vergnügen allerdings, nämlich an der
darstellerischen Verve der Schauspieler, stellt sich ein. Eine elementare
realistische Theatralik ist gefordert. Mir scheint, in diesem Sinne verbinden
sich in der Inszenierung von Vera Oelschlegel Historisches und Ergötzliches auf
diskutable Weise.
Das kleine Theater im Palast, rundum schwarz
ausgeschlagen, ist hergerichtet wie zu einem mittelalterlichen Ritual. Eine Art
Kirchenschiff. Dazu allerdings eher weltlich-höfische Gitarrenklänge. In der
Mitte des Zuschauerraumes, auf äußerst schmalem Spielsteg, begibt sich das Geschehen
überraschend plastisch und direkt. Ausstatter: Andris Freibergs aus Riga.
Die Schauspieler haben hörbar Lust an
sprachlicher Dynamik, vor allem an den sich gipfelnden Schmäh- und
Prahlkanonaden. Dabei wird nicht über die Gedanken hinweggeschludert.
Die Gestalten zeigen das stupid-bornierte und
doch auch aufbrechende Selbstbewußtsein ihrer Zeit (des historischen Umbruchs aus
mittelalterlicher Anarchie zum Absolutismus), in der noch jeder der
rivalisierenden Fürsten hoffte, der Sieger im Kampf um die Krone zu sein.
Zugleich sind die Figuren behutsam komisch gefaßt, bis hin zur Satire.
Ekkehard Schall als König Johann: ein rigoroser
Taktierer zwischen Macht und Recht, seinem Instinkt folgend, zwischen Gemüt und
Schläue pendelnd. Den Abgesandten des Papstes, Kardinal Pandulph, den eigentlichen
Kriegstreiber, gibt Horst Schulze mit exzellenter Würde als einen Altmeister
der Intrige. Faulconbridge, Bastard von Johanns Bruder Richard Löwenherz, findet
in Eberhard Esche einen glänzenden Interpreten.
Auch in weiteren Rollen ansehnliche
Leistungen von Schauspielern wie Barbara Dittus als Constanze, Felicitas Ritsch
als Eleonore und Vera Oelschlegel als Lady Faulconbridge. Günther Schoß und
Roland Hemmo sind zu nennen, auch Ulrich Voss, Frank Schenk, Thomas Gumpert, Michael
Pan und vom Nachwuchs Daniela Hoffmann und Carl Martin Spengler.
Neues
Deutschland, 9. Februar 1985