„Ithaka“ von Botho Strauß am Deutschen Theater Berlin, Regie Thomas Langhoff

 

 

 

Polit-Farce über einen Kriegslüsternen

 

„Erfindungsreich« nannte Homer gern seinen Helden Odysseus. Ob vor allem im Hinblick auf dessen Talent, Krieg zu führen, Städte zu verwüsten und Menschen zu morden, sei dahingestellt. »Erfindungsreich« ist auch Dramatiker Botho Strauß, und zwar bei seiner Adaption des Homer-Textes, einer »Übersetzung von Lektüre und Schauspiel« zu dem Drama »Ithaka«, das nach der Uraufführung 1996 in München zu Deutungs-Kapriolen verführte. Strauß, einst Verehrer von Adorno, Benjamin und Bloch, jetzt ein »konservativer Metaphysiker«, auf dem Wege zurück in den Nationalismus?

Nach Thomas Langhoffs akribisch ironischer Inszenierung des Stückes nun am Deutschen Theater in Berlin wird das Fragen neu anheben. Der Regisseur, mit seinem Dramaturgen Dieter Sturm ebenfalls »erfindungsreich«, nämlich beim Aufdecken der realistischen Substanz, macht mit seinem hervorragenden Ensemble, insbesondere mit den Hauptdarstellern Dieter Mann (Odysseus), Dagmar Manzel (Penelope) und Ulrike Krumbiegel (Athene), ein helles, klares Angebot. Augenzwinkernd, aber unübersehbar, läßt er in Karl-Ernst Herrmanns karg-poetischem Bühnenbild ohne modernistischen Schnickschnack vorspielen, wie »märchenhaft« es zuging in der »Kindheit der Welt«, als die Götter noch selbst mitmischten auf der Erde. Und wie da unter Obhut dieser Götter ein ewig Kriegslüsterner erneut Staatsmacht übernahm.

Die alte Mär von der arg verspäteten Heimkehr eines Herrschers in sein Reich, wo inzwischen eine Lotterwirtschaft eingerissen ist, scheint heutzutage nur noch zu grimmiger Farce zu taugen. Odysseus glaubte allen Ernstes, während seiner zwanzigjährigen Abwesenheit sei die Zeit in Ithaka stehen geblieben. Welch tragikomischer Irrtum! Selbstverständlich haben sich bei seiner geduldig auf ihn wartenden, inzwischen schlimm verfetteten Gemahlin Penelope um ihre Gunst buhlende Freier eingefunden: allesamt edle Vertreter der müßiggängerischen herrschenden Klasse, mit kokettem Interesse für liberalere Formen beim Behaupten der königlichen Macht. Da die Königin offenbar keine Ahnung hat vom Regieren, verschlampt der Laden. Und die verstrittenen, prassenden Freier machen es sich lustig mit den Mägden des Königshauses.

Was der Heimkehrer zum Anlaß nimmt, mörderisch aufzuräumen. Die Freier werden erschossen, die Mägde aufgehängt. Die grausame Rache geschieht unter Anstiftung und Aufsicht der Göttin Pallas Athene, die ihrerseits Götter-und-Menschen-Vater Zeus willfährt. Womit Commander Odysseus heutzutage fein raus wäre bei Politik und Justiz. Hat er doch letztlich nur auf Befehl des »Allmächtigen« gehandelt. Eine Polit-Farce also!

Aber so leicht macht es sich Strauß nicht. Zwar ist der Mensch bei ihm Spielball der Götter, verrichtet gewissermaßen deren Dreckarbeit, doch neugierig soll man schon sein, ob und wie er sich aus göttlicher Bevormundung befreit. Denn da - meint der Dichter - schaut es böse aus. Strauß hob nicht nur mal eben »den Kopf aus dem Buche des Homer und erblickte vor sich auf einer Bühne das lange Finale von Ithaka, wie er sich's vorstellt« (Strauß). Er setzte Zeichen: Odysseus hat auf seiner Irrfahrt nichts, aber auch gar nichts dazugelernt! Er begnadigt zwei Menschen, die er noch brauchen wird: den Künstler und den Denunzianten. Mit der Hinmetzelei der Fürstensöhne (obwohl die friedfertig Entschädigung anbieten) als Voraussetzung für die Wiederherstellung der überkommenen heiligen Ordnung, der gnadenlosen Säuberungsaktion als Bedingung für eine Ära ewigen Friedens in Ithaka, erfaßt Strauß schließlich das ganze menschliche Debakel: Hat Humanismus Gewaltherrschaft zur Prämisse? Mit und ohne Götter? Damals wie heute?

Langhoff demonstriert diese Fragen nicht. Er hilft dem Zuschauer, sie zu stellen. Indem er weder mit Roßhaar umwalltem, stattlichem Helmbusch noch mit elegantem Frack ablenkt, sondern auf Spiel und Sprache konzentriert. Dieter Manns Odysseus hat aus der zermürbenden Abhängigkeit von Zeus-Tochter Athene eine erträgliche Kumpanei gemacht. Der Schauspieler investiert viel Menschlichkeit in die Figur, zeigt den Listigen, der resigniert abwinkt, wenn er mit dem Sauhirten (Udo Kroschwald) von Troja spricht. Zwar heult er sich bei der Amme (Carla Hagen) aus, doch bei Vater (Rolf Ludwig) und Sohn Telemach (Guntram Brattia) zeigt er Kriegslust. Lange braucht es, bis seine treue Gemahlin in ihm den geliebten Menschen wiedererkennt.

 

 

 

Neues Deutschland, 7. April 1997