„Der Illusionist“ und „Träumen wir!“ von Sacha Guitry an der Schaubühne Berlin, Regie Luc Bondy

 

 

 

 

Liebe nach bürgerlichem Regelwerk

 

Am ersten Tag Jubel um Regisseur Luc Bondy in der Berliner Schaubühne. Am zweiten Tag Ernüchterung. Müder Beifall, ein grimmiger Buh-Ruf. Mußte er sich das ein­handeln? Mußte er unbedingt zwei Komödien des Franzosen Sacha Guitry neu übersetzen (mit Marie-Louise Bischofberger) und unmittelbar nachein­ander servieren? Programma­tisch waren die Abende doch wohl nicht gemeint!

Wie auch immer, Bondy hat, möchte ich sagen, beide Male souverän inszeniert. Und dies jeweils mit ausgezeichneter Besetzung. Da wurde minutiös gespielt, nicht auf Boulevard-Effekte gezielt, sondern die Ko­mik der Situationen erkundet und ausgekostet. In der Ko­mödie „Der Illusionist" agier­ten Dörte Lyssewski, Claudia Michelsen, Libgart Schwarz, Peter Simonischek und Gert Voss sogar bravourös. Doch ei­nen Tag darauf, in dem Konversations-Stück „Träumen wir!", schafften Libgart Schwarz, Otto Sander und Pe­ter Simonischek das Pensum nicht. Obwohl sie sich wund spielten, kam Langeweile auf, schien diese redselige Drama­tik über Liebe und Ehebruch in gutbürgerlichen Kreisen auf einmal fad und abgestanden.

Dabei sind Guitrys Dialoge von liebenswürdigstem Char­me und von so treffsicherer Menschlichkeit, daß sie einfach immer gültig sind. Dieser statt­liche, selbstsichere Schauspie­ler, Zeichner und Schriftsteller (1885-1957) war ein oft ver­heirateter Mann, also erfahren im Umgang mit dem schönen Geschlecht. Und er hatte das begnadete Talent, darüber geistvolle, wunderbar freund­liche Komödien zu schreiben. Er war überhaupt sensibel of­fen für Eindrücke aus dem All­tag. Seine Haltung zum Leben umriß er 1908 so: „An dem Tag, an dem die Leute ver­standen haben werden, daß das Spaßigste auf der Welt das Lernen und das Dümmste das Amüsement ist. .., an diesem Tag wird die Welt einen Riesenschritt auf das Glück zu ge­macht haben." Sagte es und hob als Dramatiker nicht etwa den pädagogischen Zeigefinger, sondern amüsierte seine Zuschauer so unbekümmert wie glänzend.

Sein „Illusionist" ist ein Magier, der alle Kartentricks beherrscht, auf der Bühne jede Jungfrau zum Schweben brin­gen kann und der im profanen Leben einfach jede schöne Frau erobern muß. Welche Rolle für Gert Voss! Und das Erfreuliche, das ausgemacht Schöne: Voss stellt völlig unei­tel und mit trockener, zauber­hafter Selbstverständlichkeit einen Grandseigneur des Varietés dar, einen illusionslosen Realisten, der in seinen unsteten Lebenswandel geradezu verstrickt ist. Fast ein wenig melancholisch, wie in ma­nisch-fatalem Zugzwang, aber mit immer wieder echter Hin­gabe stürzt sich dieser Paul Dufresne in seine amourösen Abenteuer. Er sucht das flüch­tige Glück einer Nacht, dann taucht er wieder unter im auf­reibenden Einerlei seines Büh­nendaseins. Die Illusionen, die er erweckt, zerplatzen wie Sei­fenblasen und sind doch wie ­funkelnde Sterne im Leben der Frauen, für die er sich interes­siert. Virtuos Dörte Lyssewski als Jaqueline, die ihren Albert, der sie aushält (Peter Simonischek als unbekümmert net­ter Lebemann), mit raffinier­tem Trick aus ihrer Wohnung hinausexpeditiert, um für die Nacht und für Paul frei zu sein. Mit von der Partie Libgart Schwarz als herrlich verschro­bene Kammerzofe Honorine und Claudia Michelsen als Va­rieté-Debütantin Gabrielle.

In „Träumen wir!" verführt „Er", ein Rechtsanwalt, eine ehrsame Ehefrau und verspricht ihr die Heirat, als der Gatte ihre Untreue erfahren haben könnte. Doch der Casanova muß sein Wort nicht hal­ten, denn er kann den Gatten hinters Licht führen. Noch
zwei Tage genießen die zwei ihr Glück und träumen von ewiger Liebe, dann kehrt sie
nach Hause zurück, nicht ohne sich „ihm" als künftige Geliebte zu empfehlen. Die amouröse
Angelegenheit ist durchaus possierlich gefädelt, verläppert sich aber zum Schluß ganz und
gar. So geht das halt, wenn nach bürgerlichem Regelwerk geliebt und von der Alternative
nur geträumt wird.      

Otto Sander als „Er" hat es schwer, denn er ist nicht der Typ des gefühligen und strah­lenden Frauenhelden. Wobei die gewisse knickrige Sach­lichkeit, mit der er sein Abenteuer durchsteht, auch ihren Charme hat. Libgart Schwarz' Gattin ist von schönem Lieb­reiz und anrührender Un­schuld, doch gerät mir die Dar­stellerin vor allem gegen Ende zu sehr in gepflegt psalmodierendes Sprechen. Peter Simonischek ist ein netter und gut­mütiger Ehemann, der natür­lich und selbstverständlich auch sein Rendezvous absol­viert. Vielleicht hätten ein sa­lopperer „Er" und vor allem eine Gattin den Abend gerettet, die unverhohlener Lust be­kommt auf das frivole Spiel zwischen Ehrbarkeit und Un­treue.

Für beide Abende lieferte Gilles Aillaud dem Bondy ein atmosphärisch stimmiges Bühnenbild.

 

 

Neues Deutschland, 3. März 1995