„Schade,
dass sie eine Hure ist“ von John Ford am Maxim Gorki Theater Berlin, Regie
Katharina Thalbach
Blutiges Herz in mörderischer Hand
Das Huhn
auf der Bühne des Berliner Maxim Gorki Theaters, das geschäftig im Laub
scharrt und emsig pickt, ist - gewollt oder ungewollt - ein Scharfrichter für
Natürlichkeit. Katharina Thalbach stellt sich diesem Maßstab, gut unterstützt
von ihrem Bühnenbildner Momme Röhrbein, der eine romantisch bizarre Idylle in
den Guckkasten zaubert, - mal karges Zimmer in einem Bürgerhaus, meist aber
Anger im mittelalterlichen Parma mit steiler Wendeltreppe, verkümmertem Baum,
modernem Müll und gewaltigem leuchtenden Kreuz als fernem Bischofssitz.
In diesen Multi-Spielraum fügt die Regisseurin das Schauerdrama »Schade, daß sie eine Hure ist« des Engländers John Ford (1586- 1640), eines Shakespeare-Nachahmers, frappierend wirklichkeitsnah.
Die
Thalbachsche Natürlichkeit ist indessen nicht etwa purer, einfältiger Naturalismus,
sondern wunderbar angereichert vom ursprünglichen Schalk der Komödiantin und
von deren souveränen Fähigkeit, Vorgänge zu ironisieren. Sie bedient präzis
die Tragödie, und zugleich ist da die ergötzende Farce, großes Spektakulum,
kurzweiliges Theater - in den amourösen Spielen des jungen Paares humorvoll
dezent, in den gewalttätigen Szenen der gnadenlosen Killer blutrünstig drastisch.
Zwar nebenher,
doch immerhin registriert man erfreut, daß ein offenbar stabilisiertes
Ensemble agiert, daß zwischen den Neu- und Altgedienten darstellerische wie
sprecherische Homogenität gewachsen ist, die sich sehen und hören lassen kann -
sowohl bei der altertümelnden Sprache der Erich Fried-Übersetzung als auch
beim lapidaren Gassen-Jargon Thalbachscher Zuarbeit.
Der
uralte Schinken, den es zu beleben galt - leidenschaftliche inzestuöse Geschwisterliebe
zwischen Annabella und Giovanni - hat ohne Zweifel noch immer den Reiz
sittenwidriger Provokation.
1965
inszenierte Luchino Visconti das Stück mit Romy Schneider und Alain Delon am
Théatre de Paris, 1974 Jean-Pierre Ponelle mit Kirsten Dene und Michael Degen in
Frankfurt (Main). Die hochkarätigen Besetzungen lassen ahnen, wieviel
Heißblütigkeit darstellerisch aufgebracht werden muß, wieviel Selbstsüchtigkeit,
um verständlich zu machen, daß hier zwei Liebende tollkühn alle Konventionen
ignorieren.
Von diesem Anspruch hat auch Katharina Thalbach nichts
abgestrichen. Wenn Giovanni am Ende in manisch egoistischer Eifersucht
Annabella, seine Schwester, Geliebte und Mutter seines ungeborenen Kindes,
viehisch mordet, ihr das Herz ausreißt und es triumphierend vorzeigt, tobt sich
eine Liebe blutig aus, die sich mit dieser Unbedingtheit zwar selbst richtet,
aber eben - wie irrwitzig auch immer - auch behauptet.
Harald Schrott als Giovanni nimmt man den besessen Liebenden ab,
den naiven, trotzigen Heißsporn, den romantischen Helden, den gleich Romeo
irdische Hürden nicht schrecken. Auch Regine Zimmermanns Annabella ist
glaubwürdig in ihrem Verstricktsein. Die Schauspielerin wechselt zwischen
schöner Unmittelbarkeit des Gefühls und Szenen mit larmoyantem Touch, die von
einer zaghaften, hilflos ausgelieferten Frau erzählen.
Beim gewieften komischen Brechen der Tragödie jongliert
die Regisseurin geradezu mit ihren Einfallen. Bergetto (Thomas Schmidt),
einen unfreiwilligen Freier Annabellas, und dessen Diener Poggio (Andreas
Bisowski) macht sie zu spleenigen Clowns. Die wie reiche, verwöhnte Bürgersöhnchen
gekleideten kindischen Spaßvögel kurven mal auf Rollschuhen, mal auf
Kinder-Dreirädern über die Szene, dann entdecken sie erfreut, daß sie sich
eigentlich recht gut mögen. Wenn sie auf einem Kahn-Torso das Liebespaar des
Titanic-Films gottvoll parodieren, verzeiht man alle Übertreibung.
Bergettos Tante Donada, die ihren Neffen mit Annabella
verheiraten möchte, bekommt ebenfalls Gelegenheit zu herrlicher Parodie. Ursula
Werner gibt eine selbstzufrieden ihre Nationalhymne pfeifende Miss im Outfit
der englischen Queen, die wacker alle Ärgernisse wegsteckt, die ihr der
mißratene Neffe bereitet.
Auch die übrigen Figuren in höchst differenzierter Zeichnung.
Bösewichte: Der Adlige Soranzo (Rainer Wöss), Giovannis Gegenspieler, als ein
Galan von stolzer, etwas verklemmter Männlichkeit, und dessen Diener Vasquez
(Klaus Manchen) als kaltblütig mordender Landsknecht. Leidtragende: Bürger
Florio (Gerd Michael Henneberg), der alte Vater des jungen Paares, kennt seine
Sanduhr besser als seine erwachsenen Kinder. Die ansonsten demütige Amme Putina
(Monika Hetterle) lebt auf, wenn sie Annabella in Sachen freier Liebe kundig
Rat gibt.
Und die Moral der schauerlichen Geschicht’? Pater
Bonaventura (Markus Völlenklee), der nimmermüde Fechter für die heiligen Gebote
der Kirche, verliert zwar an diesem Abend allerhand Seelen ans Jenseits, aber
er gewinnt auch Nachwuchs fürs Kloster. Diener Poggio wird Mönch werden. Schon
dereinst also pflegte Autor John Ford mit Liebe, Mord und blutigem Exzeß
fast modernen TV-Horror und kümmerte sich um den Fortbestand gemäßer
Seelsorge. Katharina Thalbach teilt's augenzwinkernd mit.
Neues Deutschland, 16. März 1999