„Prinz Friedrich von Homburg“ von Kleist am Deutschen Theater Berlin,
Regie Jürgen Gosch
Arthur - der Milchbart
„Lächerlich!" rief ein empörter Zuschauer im Deutschen Theater,
noch bevor der Schlußbeifall seine Stimme erstickte. Meinte er den inbrünstig
kriegerischen Ruf des kurfürstlichen Hofstaates? „In Staub mit allen Feinden
Brandenburgs!" Oder galt sein Verdikt der Inszenierung?
Auch ich hatte meine Schwierigkeiten herauszufinden, zu wessen höherer
Weihe Kleists Schauspiel „Prinz Friedrich von Homburg" in der Regie von
Jürgen Gösch auf den Spielplan des Staatstheaters des Landes Berlin geraten
ist. Gewiß nicht, weil sich mit diesem Klassiker vaterländisch deutsche
Ideologie, sprich Militanz, aufmöbeln läßt. Bei solcher Absicht hätte die Regie
den Helden nicht so nachhaltig demontieren dürfen. Er steht meist unhöfisch
leger wie der romantisch verträumte junge Bursche auf Philipp Otto Runges
Zeichnung „Wir drei" aus dem Jahre 1805.
Indessen: Ich bin mir nicht gewiß, ob Jürgen Gösch tatsächlich
beabsichtigte, den Prinzen Friedrich Arthur von Homburg als reinen Milchbart vorzuführen.
Ihm ist's widerfahren, möcht' ich behaupten. Er hat dem Kleist mit bedächtiger
Gründlichkeit nachgespürt, hat vor allem die Widersprüchlichkeiten des jungen
Arthur, des Generals der Reiterei, aufzudecken versucht. Nicht zufällig wird
bei ihm die Begegnung des Prinzen mit der Kurfürstin und mit Prinzessin Natalie
zur zentralen Szene. Der hohe Militär entpuppt sich als windig-wendige Seele,
die am Leben hängt, auf alle Liebe zu Natalie pfeift und gern auf den Gütern am
Rhein im Schweiße säen und ernten möchte. Kleist desavouierte preußischen
Heroismus schonungslos. Gerade weil er um 1811 seinen dichterischen Beitrag zur
Befreiung des Vaterlandes leisten wollte, offerierte er seinen Traum von diesem
Vaterland, die Utopie, die Versöhnung von Staatsmacht und Humanität. Und Gosch
wollte nicht zurück zu irgendeinem Pathos des Klassizismus, sondern voran zu
subtil-realistischer Natürlichkeit eben dieser poetischen Vision. Vor allem
über die Sprache, die vor schwarzgrauem Hintergrund (Bühnenbild Johannes
Schütz) trefflich zur Wirkung kommen sollte. Aber er hat fehlbesetzt.
Michael Maertens ist leider nicht in der Lage, militärischen Status und
romantische Seele des Prinzen von Homburg schauspielerisch auszudrücken. Schon
zu Beginn gibt er keinen jungen General, dem etwas Menschliches, nämlich die
Liebe, in die Quere gekommen ist, sondern einen verklemmt die Schultern
einziehenden weichherzigen Knaben. Da Maertens auch später die Lebenssituationen
des Prinzen nicht konkret erfaßt und, statt sie zu gestalten, sich ihnen exzessiv
hingibt, zelebriert er gefühliges Theater, läßt er sich in eine emotionale
Larmoyanz treiben, so daß er nicht sinnlich direkt spricht, sondern fortwährend
Arien rezitiert oder brüllt. Just in der Szene mit der Kurfürstin (Jutta Wachowiak)
und Natalie ergibt das eine so klägliche, offensichtlich verlogen-egoistische Gestalt,
daß man dem Prinzen alle späteren Beschwörungen einfach nicht mehr abnimmt. Die
Titelgestalt ist für den Abend passé.
Dennoch hat die Inszenierung faszinierende Szenen. Nicht nur weil Gosch
- vielleicht um eine Idee zu betulich - die Fabel des dramaturgisch perfekt
gearbeiteten Werkes bot, sie subtil zwischen Tragödie und Lustspiel wie
zwischen romantischem Märchen und vaterländischem Schauspiel ansiedelte. Immer
wieder erfand er farblich gut abgestimmte, beredte Tableaus.
Wenn Kottwitz am Ende erklärt, alles sei „ein Traum, was sonst?"
gewesen, betrifft das auch das durchaus unmartialische, der Poesie
verpflichtete Spiel. Wobei immer wieder verblüfft, wie einzelne Schauspieler
ihren Bühnenfiguren reale Gestalt zu geben vermögen. Claudia Geisler hat als Natalie
eine zwingende Ursprünglichkeit, bewältigt Kleists Verse spielend und wunderbar
differenziert und setzt immer wieder ganz eigene unmittelbare Akzente. Etwa,
wenn sie den Prinzen selbstsicher und zupackend kraftvoll zum Schreiben auffordert.
Großartig ausgespielt ihre Freimütigkeit in der Begegnung mit Friedrich Wilhelm,
dem Dieter Mann neben pflichtbewußter Väterlichkeit souverän die knappe, subtil
ironisierte Sachlichkeit eines unbeugsam staatsdoktrinären, letztlich aber staatsklugen Regenten gibt. Otto Mellies als Feldmarschall
Dörfling ist ihm ein distinguierter Berater. Dem Obristen Kottwitz gibt Jürgen Holtz
(wieder am DT!) mit darstellerischer Finesse die leicht kauzige Beherztheit des
Veteranen, der lange geschwiegen hat, nun aber eine Lippe riskiert. Thomas
Bading fällt auf als klug wägender und besonnen handelnder Graf Hohenzollern.
Neues
Deutschland, 9. Oktober 1995