„Die Hermannsschlacht“ von Heinrich von Kleist vom Burgtheater Wien, Regie Claus Peymann

 

 

 

Völlige Hingabe an das Theater

 

Zu seinem vierten Gastspiel kam das Burgtheater Wien in die Jubiläumsstadt Berlin. Direktor Claus Peymann brachte seine 1983 in Bochum entstandene und für Wien überarbeitete Inszenierung des Dramas „Die Hermannsschlacht" von Heinrich von Kleist mit. Die Erwartungen des Publikums in der Volksbühne waren hochgestimmt, zählt Peymann doch zu den anerkannt führenden Regisseuren des zeitgenössischen Theaters.

Das von Kleist 1808 in Dresden als flammende Agitation gegen napoleonische Fremdherrschaft geschriebene Werk — von der „Burg" damals nicht uraufgeführt, obwohl es Kleists sehnlichster Wunsch gewesen war — ist wegen seiner zum Krieg aufrufenden dramatischen Konsequenz ganz ohne Frage ein schwieriger Gegenstand für Theaterleute, die sich der Humanität und dem Frieden verschrieben haben.

Peymann und sein Ensemble setzen ihre dem Stück zugesprochene und auf einer Pressekonferenz ausgesprochene Botschaft, „der erschreckenden Wahrheit über Krieg und Unbarmherzigkeit ins Auge zu schauen", eindrucksvoll um. Dafür stehen insbesondere die choreographisch-pantomimisch meisterhaft arrangierten Schlachtszenen. Obwohl der Regisseur jeweils mit wenigen Darstellern auskommt, sind diese Bilder sich den Sinnen tief einprägende Metaphern für die Erbarmungslosigkeit eines Krieges.

Peymann ging den heute einzig möglichen Weg, indem er — Brechts sozialistisch-realistische Methode nutzend — die martialischen Vorgänge des Dramas unterschiedlich stark verfremdete. Die konspirative Vorbereitung der Schlacht im Teutoburger Wald durch den Cheruskerfürsten Hermann, dessen Taktieren mit den Römern wie mit seinen Landsleuten und seinen Kampf gegen die imperiale Macht Rom übertrug der Regisseur in eine fiktive Wirklichkeit gegenwärtigen progressiven Guerillakampfes. Die Figuren agieren heutig-natürlich und im Habitus armer Leute (Kostüme: Ursula Renzenbrink).

Damit war peinlicher Heroi­mus von vornherein vermieden. Kleists Verssprache fügt sich der „unpathetisch irdischen" Spielweise verblüffend schmiegsam zu. Freilich werden auch Grenzen solch freizügigen Umgangs mit einem Klassiker spürbar. Ich denke an die als Mahnung gesetzte Schlußapotheose. Unter dem Geschützdonner eines modernen Krieges reckt sich die Gestalt des Hermann auf zum dunklen, bedrohlich-riesigen Denkmal. Die Guerilla-Assoziation wird also fallengelassen und rein agitatorisch die historisch zweifellos richtigere entgegengesetzt. Das Publikum ging die überraschende Wendung mit. Komplizierte soziale Sachverhalte aufdeckendes Theater kommt heute möglicherweise ohne solche bewußt gesetzte Signale nicht mehr aus.

Diese Inszenierung lebt und pulsiert überhaupt durch das Ausspielen der Widersprüche. Ständig treffen und brechen sich Tragisches und Komisches. Szenen des durchweg ernst dargestellten Aufbruchs eines Volkes aus urgesellschaftlicher Anonymität in seine Stammesgeschichte, eingebettet in einen revolutionären Befreiungskrieg, wechseln mit Szenen des satirisch-komisch gezeichneten Feldzuges der Römer als der einer Kolonialmacht.

Und dazwischen „tobt" die kaum verfremdete, urkomische „Eheschlacht" des Fürsten Hermann mit Thusnelda (ausgezeichnet Kirsten Dene), seiner herrlich einfältigen Gattin. Sie ist in den römischen Legaten Ventidius (Urs Hefti) und dessen modische Extravaganzen vernarrt, was ihr ihr Mann einigermaßen boshaft Schritt für Schritt vergällt. Hier ist unmittelbar der realistische Komödiant Kleist entdeckt, der Dichter des „Zerbrochnen Krugs" und des „Amphitryon".

Für bestimmte Szenen fand Peymann eigene, ihnen gemäße stilistische Lösungen. Das Verbrechen an der jungen Germanin Hally spielt sich im Hintergrund der dunkel gehaltenen Bühne (Bühnenbild: Vincent Callara) ab wie ein mythisches Zeremoniell. Das Volk agiert in Masken, langsam, schwerfällig, völlig entrückt in noch borniertem Bewußtsein.

Einen ganz anderen stilistischen Zuschnitt hat die Szene im Park, in der Thusnelda ihren römischen Verehrer Ventidius einem Bären ausliefert. Ein objektiv grausamer Vorgang wind burlesk-komisch gespielt wie aus einer Posse Nestroys oder Raimunds.

Zusammengehalten wird das inhomogene, ästhetisch dennoch außerordentlich reizvolle Stilmosaik durch den Darsteller des Hermann, durch Gert Voss. Er tritt auf mit Baskenmütze und in schäbig-dunklem Mantel, unscheinbar, unheldisch, sich völlig mit der Figur identifizierend. Dieser Hermann ordnet seine Angelegenheiten wie ein fuchsiger Buchhalter, zugleich geht von ihm die eigentümlich zwingende Kraft eines eiskalt kalkulierenden Intellektuellen aus. Seine Sätze setzt er ironisch, Inhalte enthüllend, oft wie nebenher, doch stets bedacht. Nur zweimal zeigt er Seele: Gegenüber seinem „Thuschen", wenn er Abschied nimmt; und eingedenk der Menschenopfer, die die Schlacht kosten wird...

Das war ein Abend — völlig hingegeben dem Theater und zugleich von außerordentlicher rationaler Ausstrahlung. Der lang anhaltende herzliche Beifall des Publikums galt auch der erklärten Absicht der „Burg", anläßlich des 90. Geburtstages von Brecht im kommenden Jahr erneut zu gastieren.

 

Neues Deutschland, 14. Oktober 1987