„Herakles“ von Heiner Müller am Berliner Ensemble, Regie Klaus Emmerich

 

 

 

Spott für einen Helden der Arbeit

 

 

Der größte Scheißhaufen der Welt auf der Bühne des Berliner Ensembles. Das sollte man sich nicht entgehen lassen. Das wird's so schnell nicht wieder geben: Herakles mistet den Augiasstall aus, und zwar in der sarkastischen Fassung Heiner Müllers, in der der Held auf Drängen thebanischer Bürger loslegt, denen es zum Himmel stinkt. Die kulturelle Großtat vom »Arbeits«-Sieg über den Kot bringt Klaus Emmerich, als Regisseur mit Brechts »Maßnahme« (1997) und »Die Rundköpfe und die Spitzköpfe« (1998) am Haus erfolgreich, in einer ästhetisch exzellenten Inszenierung.

 

Herakles, der Sohn des göttlichen Zeus und der irdischen Alkmene, das sei erinnert, wird gehandelt als der berühmteste Heros der griechischen Sagenwelt. In der Poesie wird er als Ideal eines Helden dargestellt, der unter fortwährenden Mühen und Kämpfen das Höchste erreicht, mithin Vorbild ist für männliche Tugend. Daß Heiner Müller sich mit solch hymnischer Sicht nicht identifizierte, kann kaum überraschen. Sein Opusculum »Herakles 5« ist ein Satyrspiel.

 

Bekanntlich hatte der Zeus-Sohn im Verlaufe seines gigantischen Daseins neben diversen Liebschaften allerlei Heldentaten zu bewältigen. Er rettete den gefesselten Prometheus, er kämpfte mit den Kentauren. Und er hatte Abenteuer zu bestehen, die als zwölf »Arbeiten« abgebucht sind. Zum Beispiel erlegte er den Nemeischen Löwen, in dessen Fell er fortan posierte; er tötete die Hydra, bändigte den feuerschnaubenden Stier von Kreta. Seine fünfte Arbeit: Er reinigte an einem Tage die Ställe des Königs Augias! Eben dies wahrhaft heroische Tun kann neuerdings im Berliner Ensemble besichtigt werden. Es findet dort mit heiterer Ironie, Blitz und Donner sowie Musik von Scelsi und Beethoven symbolträchtig erfolg­eich statt, gewissermaßen als Ersatz für die Kalamität, daß der Mist im Augiasstall Gesellschaft unbewältigbar ist.

 

Selbst Herakles, stellt sich heraus, hat allerhand Mühe. Veit Schubert weiß das sehr beredt vorzuführen. Der Schauspieler, körperlich wendig und gestisch wie mimisch brillant, demontiert den Heroen liebenswürdig, zeigt ihn als menschlich störanfällig. Das geht schon damit los, daß dem Herakles der Gestank des Misthaufens so gehörig in die Nase steigt, daß er ins Grübeln gerät und schließlich hofft, ihn mit Pfeil und Bogen besiegen zu können. Der Held ist - siehe da! - geistig unbedarft. Aber eben verdammt kräftig. Den unwilligen Stier des Augias packt er bei den Hörnern und ringt ihn nieder.

 

Was Augias gar nicht beifällig hinnimmt. Der an Herden reiche König und Boß des Stalles ist bei Hans Fleischmann ein gemütlicher Bajuware, der genüßlich seine Weißwurst futtert und ansonsten das Wirken des Heroen höchst skeptisch beobachtet. Herakles indessen scheint zu verzagen. »Was geht mich Theben an!«, sagt er resigniert und nimmt erschöpft erst einmal auf dem Misthaufen Platz. Sein Vater Zeus (Julian Kamphausen), der auf einer zarten Wolke herabschwebt, lockt ihn mit Hebe (Suva Schröder). Die schlanke Busen-Schönheit beflügelt ihn zu einer Idee. Mit einem Dammbau lenkt Herakles zwei Flüsse so durch den Stall, daß sie den Mist hinwegschwemmen. Dennoch verspotten die Thebaner den »Helden der Arbeit«...

 

Das amüsante Spiel im stilvollen Bühnenbild Klaus Emmerichs mit präzisen Schauspielern, phantastischem Stier (Christian Mrosek, Ronald Siegmund) und trippelnden, liebreizenden Kühen ist ein theatrales Kleinod. Als Prolog an diesem Abend gibt es »Herakles 2 oder die Hydra« von Heiner Müller, souverän locker und pointiert gesprochen von Uwe Steinbruch; als Epilog »Herakles 13« von Heiner Müller, leider in argem Tempo heruntergerasselt von Margarita Broich, Anette Daugardt und Cristin König.

 

»Buh!« brüllte ein Zuschauer zur Premiere laut, »Arschloch« konterten andere prompt. Den weiteren Disput übertönte der Beifall.

 

„Neues Deutschland“ vom 19. März 1999