„Die Heldin von Potsdam“ von Theresia Walser am Maxim
Gorki Theater Berlin, Regie Volker Hesse
Die Texte der hochgelobten Theresia Walser (Jahrgang 1967) würden Poesiealben höherer Töchter zieren, auf der Bühne genügen sie sich selbst, scheinen mit Wirklichkeit nur zu kokettieren. Schon vor drei Jahren, als ich ihren monologischen Trash »Kleine Zweifel« in der Schaubühne sah, notierte ich die Fabulierlust der Stückefertigerin, aber auch, dass sie sich in Quasselei verliert.
Nun mit »Die Heldin von Potsdam« ein neuer Versuch, den Volker Hesse,
der neue Chef des Berliner Maxim Gorki Theaters, als Einstand zur Uraufführung
brachte. Ein Flop! Dank tapferer Schauspieler (Katharina Thalbach, Monika Lennartz,
Ursula Werner, Bettina Hoppe, Burghart Klaußner, Klaus Manchen) vom Publikum
dennoch mit Beifall bedacht.
Zunächst mit Nachdruck: Zuspruch den Dramatikern, die
heiße Eisen anfassen und gegen Neofaschismus und Ausländerfeindlichkeit
anschreiben. Insofern verdient Theresia Walsers Arbeit Anerkennung. Doch
leider ist die Schreiberin dem Thema nicht gewachsen. Was, will mir scheinen,
nicht allein ihre Crux ist; auch der Regisseur versagt. Auf deprimierende Weise
widerspiegeln Stück wie Aufführung die unsägliche Hilflosigkeit dieser
deutschen Gesellschaft gegenüber Erscheinungen und Auswüchsen im Kern faschistischer
Umtriebe.
Da hat Theresia Walser von Elke Sager-Zille erfahren, der
arbeitslosen Mutter von drei Kindern aus Potsdam, die nach einem schweren Sturz
behauptet hatte, in der Straßenbahn eine alte Frau vor rechtsradikalen
Skinheads gerettet zu haben; wofür sie 1994 von der Boulevard-Presse zur »Heldin
von Potsdam« erklärt worden war. Der Vorfall inspirierte die Autorin. Die
deutsche Wirklichkeit, schlussfolgerte sie, habe sich diese Heldin erfunden,
weil sie sie brauche, da sie in der Realität bedauerlicherweise nicht
vorkomme. In der Tat: Ein grotesker Widerspruch! Ihn versuchte die Walser zu
theatralisieren - mit ihren naiven Mitteln geschwätziger Personnage, was zu
peinlicher Oberflächlichkeit führte. Solch brisantem Gegenstand ist auf dem
Theater nicht auf dem Niveau unverbindlicher kleingeistiger Kaffeekränzchen
gerecht zu werden.
Beim Versuch, für die Sager-Zille mit der Gestalt der
Paula Wündrich eine poetische Entsprechung zu erfinden, löst sich die
Schreiberin - verliebt in ihre eigene Bilder- und Begriffswelt - aus dem sozialen
Umfeld. Entstanden ist ein redseliges Schema von Frau. Wobei nicht klar wird, ob
Lügen sozusagen deren bewusst bevorzugte zweite Heimat sind oder sie ihr per
Zufall über die Zunge kommen. Selbst Katharina Thalbach vermag der Figur kein
plausibles Profil zu verleihen. Die Schauspielerin, mal mit krächzender, mal mit
einschmeichelnder Stimme, etabliert eine korpulente, schwerfällig schwadronierende,
irgendwie abgetakelte Madame.
Das Vorführen von drei Ausländern schließlich, die als Opfer des Rechtsradikalismus
für das Fernsehen fit gemacht werden sollen, war keine Farce über derlei
TV-Machenschaften, sondern eine einzige ästhetische Fatalität. Ungewollt, gewiss,
aber geradezu zwangsläufig inmitten der allgemeinen Theaterei demonstrierten
die Herren Tuncay Gary, Celal Bozat und Alexander Averdung einfach mit ihrer
schlichten Anwesenheit, um welche gesellschaftlichen Dimensionen es hier
eigentlich geht. Hatte ich bis dahin zuweilen noch den Eindruck, die Regie versuche
die abstruse Lügengeschichte wenigstens irgendwie zu ironisieren, empfand ich
nun nur noch Enttäuschung.
Neues Deutschland, 20. September 2001