„Die Hebamme“ von Rolf Hochhuth am Berliner
Ensemble, Regie Rolf Hochhuth
Berliner Sommertheater
Regine Lutz spielt wieder in Berlin. Die sanfte, ausdrucksfreudige Schweizer Schauspielerin, 1949 die spröd-laszive Yvette in Brecht/Engels legendärer Inszenierung der »Mutter Courage und ihre Kinder«, kehrt für eine Produktion ans Theater am Schiffbauerdamm zurück. Sie gibt in Rolf Hochhuths Komödie »Die Hebamme« die Titelrolle. Bewegt dankt sie zur Premiere dem Publikum, drückt eine Kusshand auf den Bühnenboden und verneigt sich.
Es war ein Abend anregenden Sommertheaters
geworden. Im Vorfeld hatte ein unwürdiger Streit zwischen dem regieführenden
Autor und dem Chef des Berliner Ensembles die Inszenierung ins Gespräch
gebracht. Statt gemeinsam mobil zu machen für eine engagierte sozialkritische
Theaterkunst, gifteten sich Rolf Hochhuth und Claus Peymann öffentlich gegenseitig
an. Hochhuth, der Boss der Holzapfel-Stiftung und damit Herr der
Immobilie am Schiffbauerdamm, vertragsgemäß während der
Sommerferien zu einer eigenen Produktion berechtigt, bezichtigte Peymann, eben
diese Produktion zu behindern. Und der Star-Regisseur mäkelte - zu Unrecht,
wie sich herausstellte - an der künstlerischen Qualität der Schauspieler
herum, die Hochhuth verpflichtet hat.
Nun ist die Besitz-Konstellation am Schiffbauerdamm
wahrlich alles andere als ideal. Peymann, der seine Truppe vorm Haus an
Litfaßsäulen als »bestes Berliner Ensemble! ätsch!« offeriert, grollt verständlicherweise,
wenn ein von ihm nicht geliebter Autor vom nach wie vor guten Ruf des Hauses
profiliert. Aber Sommertheater ist keine Konkurrenz. Es hat in Berlin eine
reiche Tradition. Eigens für sie wurden sogar Theater errichtet. Berühmt waren
das Wallner-Theater in der Stralauer Vorstadt und das Rose-Theater in der
Großen Frankfurter Straße. Imposant war das Victoria-Theater in der Münzstraße
mit zwei Zuschauerräumen, je einer für Sommer- und Winterbetrieb.
Stets ging es nicht um ästhetische Spitzenleistungen,
sondern um publikumswirksame Unterhaltung. Hochhuth bietet mit seiner
Initiative volksnahes und zugleich politisches Theater, wie es die renommierten
Bühnen derzeit eher meiden. Der a priori umstrittene deutsche Dramatiker
(»Der Stellvertreter« 1963) ortete mit seiner Komödie »Die Hebamme« bereits
1972 die schlimme Filzokratie der bundesdeutschen Gesellschaft. Wie Vertreter
von SPD, CDU und FDP miteinander kungeln, Schmiergelder verteilen und das Volk
austricksen, hat zwar in der Realität inzwischen atemberaubende Dimensionen
angenommen, ist jedoch selbst in Hochhuths bescheidener Version noch immer
brisant.
Insofern wünschte man sich trotz heißer Jahreszeit
eine zupackend präzise Inszenierung. Das schafft der Autor nicht. Zwar
dilettiert er nicht wie 1999 im Schloßpark-Theater (»Wessis in Weimar«), führt
sein Werk im schlicht sinnvollen Bühnenbild von Sabine Pommerening sogar
passabel bühnengerecht und unterhaltsam vor, hat aber leider weder Auge noch
Vermögen, die Skurrilität der Vorgänge durchweg dicht und pointiert zu prägen.
Unbeholfenheiten in der Baracken-Szene, zügigeres Spiel im Gerichtssaal.
Sommertheater eben.
Wie auch immer. Hochhuth bringt mit seinem
sturen und letztlich bewunderungswürdigen Ehrgeiz, auf hauptstädtischer Bühne
präsent zu sein und damit Berliner Intendanten Säumigkeit anzulasten,
nachhaltig in Erinnerung, dass er einer der wenigen politisch engagierten deutschen
Dramatiker ist. Und dass er einen Einfall dramaturgisch auszureizen vermag.
Da ist die Diplom-Hebamme Sophie, Oberschwester
am Städtischen Krankenhaus von Wilhelmsthal. Vor achtzehn Jahren gelangte sie
in den Besitz der Papiere der sterbenden Generalfeldmarschallwitwe Baronin von
Hossenbach und ließ die Tote in Duisburg wieder aufleben. Seither hat sie deren
Rente kassiert, die sie Obdachlosen zugute kommen lässt. Diese betagte Bürgerin
mit kriminellem Touch flirtet als vom Parkinson arg geplagte Baronin mit der
Bundeswehr und fädelt als unbescholtene CDU-Stadträtin eine Intrige für die
Slumbewohner des Ortes. Was nicht glatt geht. Sie zieht Oberst Senkblei sowie
den evangelischen und den katholischen Pfarrer in die Sache hinein und muss
sich vor Gericht verantworten - welch Szene in ihrer umwerfenden Komik lebhaft
an Kleists »Zerbrochenen Krug« oder Zuckmayers »Hauptmann von Köpenick« erinnert.
Die deutsche Dramatik ist nicht eben reich an wirklich zündenden Lustspielen.
Vor Gericht treffen sie also alle
aufeinander und offenbaren ungewollt ihre fatale Verstrickung - der eitle
Oberst Senkblei (Mathias Kunze), der souverän lavierende Monsignore
Rosentreter (Anton Rattinger), der arg verstörte Kreispfarrer Bohrer (Harald
Effenberg), der leicht cholerische Oberstadtdirektor Gnilljeneimer von der SPD
(Uwe Steinbruch), der joviale Landgerichtsdirektor Bläbberberg von der CDU
(Horst Jüssen), der fügsame Autogroßhändler und Feuerwehrchef Koggelgritz von
der FDP (Jörg Kleinau), der akkurate Bankdirektor Schoppen (Rainer Pigulla),
die entnervte Slum-Insassin Kruppsch (Nicole Haase). Und Sophie.
Regine Lutz gibt deren Doppelleben behutsam,
akzentuiert nicht eine bösartige Intrigantin, sondern eine Frau mit sozialem
Gewissen, je nach Bedarf die robuste, dann die scheue Oberschwester, kaum die kleine
Anarchistin, die der Autor mit dem Tode bestraft. Die Lutz bringt Liebenswürdigkeit
in die satirische Komödie.
Neues Deutschland, 15. August 2000