„Haus Eden“ von Brian Friel am Berliner Renaissance-Theater, Regie Gerhard Klingenberg

 

 

Träume  -  Schätze der Armen

 

Das Spiel in vornehmem Wohnsalon (Bühnenbild Jörg Zimmermann) scheint nicht recht loszugehen. Die verspätet und störend aus dem Zuschauerraum auftretende rustikale Cass McGuire wünscht ihre Version zu erzählen, während Herr Harry McGuire (Günther Tabor anfangs textunsicher), ihr seriöser Bruder, auf seiner Lesart besteht. Auch seine Frau Alice (Christine Prober) steuert ihre Meinung bei, selbst Oma (Marga Legal) mischt mit, obwohl sie schwerhörig ist.

Bald erhellt: Da hat eine gutsituierte irische Familie die aus den Staaten heimgekehrte Schwester des Hausherrn aus Gründen der Reputation ins Altenheim abgeschoben, wo auch Leute untergekommen sind, die ganz offenbar einen Sparren zuviel haben. Am Ende wird sich herausstellen, daß das Dasein dort in dieser besonderen Gemeinschaft friedvoller, vielleicht sogar freudvoller verläuft als bei der offenbar verstrittenen Familie McGuire.

Dies zu erfahren, verschafft das Berliner Renaissance-Theater Gelegenheit mit der Komödie „Haus Eden" des 1929 in Nordirland geborenen Brian Friel. Das Stück aus dem Jahre 1966, in der Übertragung von Eva Walch auch mit dem Titel „Die Liebesaffären der Cass McGuire" übersetzt, hat nicht nur eine mehrfach verschachtelte Handlung. Es hat auch eine Paraderolle, eben diese heimgekehrte Cass. Sie hält die Fäden in der Hand, bündelt Reminiszenzen und Aktivitäten. Regisseur Gerhard Klingenberg besetzte mit Gisela May. Eine gute Entscheidung.

Die trotz hohen Alters vitale, trinktüchtige und noch immer resolute Cass ist bei Gisela May eine Frau, die ihr „wildes" Leben mit auf die Bühne bringt. Wenn sie ungeniert ihre Zoten erzählt, kann man sich vorstellen, wie sie die Männer vernaschte, bis sie bei Jeffe, ihrem Lover, hängenblieb, in dessen Bistro sie kellnerte. Das rechte große Glück hatte sie bei ihm offenbar nicht gefunden. Als er starb, hielt sie nichts mehr. In Gedanken war sie ohnehin oft in der Heimat, bei der vermeintlich heilen Familie. Bitter daher ihre Enttäuschung.

Aber Cass, die unruhige Seele, die noch immer gern einen hebt, arrangiert sich neu mit dem Leben. Sie denkt sich hinein in die Träume, in die wahren und erfundenen Erlebnisse, in die unerfüllten Sehnsüchte, die sich Insassen des Hauses, vertreten durch Trilbe (Judy Winter) und Ingram (Horst Schultheis), in immer neuen Varianten sozusagen als bare Münze erzählen.

Gisela May serviert die .Pointen deftig, damit das Volksstück bedienend, immer wieder mit dem Publikum kokettierend, das übrigens fröhlich mitspielt. Sie liefert aber auch das Besinnliche, Aufmerksamkeit für arme, zerbrochene Menschen, damit die tragische Wehmut treffend, die Trilbe und Ingram so formulieren: „Doch ich, die ich arm bin, habe nur meine Träume".

Man mag derlei Botschaft unter irischer Kauzigkeit abbuchen. Ohne skurrile Geschichten geht es ohnehin nicht ab in einer irischen Komödie. Doch so einfach ist das nicht. Es hat etwas Beklemmendes, Aberwitziges, wenn ausgerechnet geistig Gestörte eindringlich Wahrheiten sagen. Regisseur Klingenberg ging behutsam damit um. Er ließ derbe Komik zwar nicht aus, lädierte damit sogar leicht die ästhetische Ausgewogenheit seiner Inszenierung, betonte aber sehr bewußt auch und gerade eben dies Bedenkenswerte, daß nämlich der Mensch letztlich recht gut aufgehoben sein kann in der Welt seiner Träume.

 

 

Neues Deutschland, 23. Februar 1994