„Wie man Hasen jagt“ von Georges Feydeau am Deutschen
Theater Berlin, Regie Thomas Langhoff
Virtuosen im Leerlauf
Virtuosen im Leerlauf, Komik aus der Mottenkiste. Was für Intendanten-Regisseur Thomas Langhoff und seine Star-Schauspieler am Deutschen Theater in Berlin zum Ende der Spielzeit 1997/98 nach anspruchsvoller Arbeit als Lockerungsübung gedacht war, macht nun den Auftakt zur Saison 1998/99: Georges Feydeaus Komödie »Wie man Hasen jagt«, eine klamottige theatrale Desavouierung bürgerlicher Ehe-Moral aus dem Jahre 1892. Und ich freue mich, mitteilen zu können: Ob nun als Ausklang oder als Auftakt - Regisseur wie Akteure beweisen ihr subtiles Können ganz fabelhaft an dieser fundamentalen Belanglosigkeit.
Insofern läßt sich optimistisch auf die kommenden
Premieren blicken. Die Truppe am Deutschen Theater - das ist selbst an dieser Spielerei
zu beobachten - bleibt ihrer realistischen Tradition treu. Ohne verbissen an ihr festzuhalten. Eher frischer denn je, weil locker
und unverkrampft. Jedenfalls selbstbewußt in der Gewißheit des eigenen Könnens,
ganz und gar nicht verunsichert etwa durch Vorwürfe, einem überholten Akademismus
zu huldigen.
Neue Arbeiten von Thomas Langhoff erwarten
uns (Friedrich Dürrenmatts »Besuch der alten Dame« und Botho Strauß' »Die
Ähnlichen«), Inszenierungen von Alexander Lang (Shakespeares »Othello«), Jürgen
Gosch (Schillers »Jungfrau von Orleans«), Wolfgang Engel (Marlowes »Eduard II.«)
und Johanna Schall (O'Darkneys »Die Blinden von Kilcrobelly«). Thomas
Ostermeier will Maeterlincks »Blauen Vogel« fliegen lassen.
Insgesamt scheint das angekündigte Programm
nicht allzu griffig für die Gegenwart, eher zurückhaltend, indirekt im Kommentieren
der Unsäglichkeiten unserer Tage. Wird etwa die Absicht angedacht, sich künftig
deutlich von Claus Peymann im Berliner Ensemble zu unterscheiden, der dort vor
allem zeitgenössische Autoren zu Wort kommen lassen will? Wie auch immer. Auf
die Dauer wird sich moderne Schauspielkunst mit Reprisen nicht pflegen lassen.
Noch ist das Ensemble topfit - siehe »Wie man Hasen jagt«.
Zum Auftakt also Feydeau (1862-1921),
der französische Stückeschreiber der Extraklasse in Sachen purer Unterhaltung,
der vollendete Nachfahr von Sardou und Courteline. Man spricht von
abschnurrenden Mechanismen seiner Farcen. In der Tat. Mit Kaskaden von Zufällen
stürzt er seine kleinen bürgerlichen Helden in tiefes moralisches Dilemma.
Regisseur Langhoff nun zündet im milieugenauen Bühnenbild Karl-Ernst Herrmanns
(mäßiger Wohlstand im Goldrahmen) kein formal ablaufendes Pointen-Feuerwerk,
hetzt nicht über die Ereignisse hinweg, sondern entdeckt selbst im abstrusesten
Vorgang die menschliche Substanz, ortet die Situationen minutiös und kostet sie
aus wie ein wahrer Gourmet der Komik. Und seine Schauspieler brillieren
nuanciert.
Allen voran Dagmar Manzel. Sie ist die hintergangene
Ehefrau Leontine Duchotel, die sich ihrerseits gern einmal mit Herrn Doktor
Moricet ein amouröses Abenteuer leisten möchte. Die Schauspielerin liefert
elementar die verbrauchte Grandezza eines unbefriedigten Weibes, dessen Frust
sich in gewaltigen hysterischen Wutausbrüchen komisch Bahn brechen kann, dessen
Sehnsüchte aber stets zart und verführerisch locken. Eben den Doktor. Den gibt
Thomas Bading als einen wunderbar verschrobenen, in seine ehebrecherischen
Absichten skurril verwickelten windigen Charmeur. Ehegatte Duchotel ist bei
Christian Grashof ein Spießer par excellence. Wie dieser Duchotel stolziert und
eifert, immer wieder mit neuen Lügen Oberwasser zu bekommen sucht, stur seine
Welt behauptet und formal Küsse verteilt, das ist famos hingespielt.
Schauspielerische Kabinettstücke bieten Christine Schorn als gefallene Gräfin
und nunmehrige Hausmeisterin Latour, Walter Schmidinger als konzilianter
Polizeikommissar Bridois, Michael Gerber als behäbig gutmütiger Freund Cassagne
und Stephan Grossmann als unbekümmert lebenslustiger Neffe Gontran.
Virtuosen bezaubern. Aber Leerlauf. Wenn auch
mit hoher Drehzahl. Die Angelegenheit, für die es da rund geht, ist zopfig,
verbraucht, nichtig. Der Spaß im Grunde dürftig. Doch um im Bild zu bleiben: Jeder
Autofahrer weiß, wie unverzichtbar der Leerlauf ist.
Neues
Deutschland, 24. August 1998