„Hase Hase“ von Coline Serreau am
Schiller-Theater Berlin, Regie Benno Besson
Optimistische Komödie vom Überlebenstraining kleiner Leute
So ergötzend kann Theater sein. Das
Ereignis dieser Berliner Saison: Benno Bessons deutsche Erstaufführung der
sozialromantischen Komödie „Hase Hase" von Coline Serreau am Berliner
Schiller-Theater. Minutenlanger frenetischer Beifall für die Autorin, für den
Regisseur und für das glänzend aufgelegte Ensemble. Commedia-Kunst, wie sie
selten ist, hinreißend komödiantisch, faszinierend pointiert in rasantem Spiel.
Welch ein Stück aber auch! Der Französin Coline Serreau, Schauspielerin, Regisseurin, Filmemacherin und Autorin, eine feinsinnige Beobachterin des Lebens, ist es gelungen, aus den Alltäglichkeiten der Familie Hase eine turbulente Fabel zu bauen. Mutter, Vater, vier erwachsene Kinder und der Nachzügler mit Vornamen Hase, der mit pubertärer Phantasie clever Kontakt mit Außerirdischen pflegt. Und die einsame Nachbarin Duperri. Eine Fernseh-Klimbim-Familie sozusagen, aber mit psychologischem Tiefgang und allen theatralen Schikanen. Bis hin zum Einsatz eines deus ex machina, weil irdische Mittel nicht mehr helfen.
Die Familie Hase nämlich, eine von
unzähligen in dieser kapitalisierten Welt, sitzt tief in der Sch... Papa
arbeitslos, Kinder arbeitslos, Gymnasiast Hase von der Penne geflogen, weil
klüger als der Mathelehrer. Schließlich kampieren alle in der kleinen
Eineinhalb-Zimmer-Wohnung (Bühnenbild Ezio Toffolutti), lieben sich, streiten
sich, halten zusammen wie Pech und Schwefel.
Und wo ist der Ausweg? Keiner! Sohn
Jeannot verschlägt es zu Bombenlegern. Die Familie kann ihn gerade noch vor der
Polizei verstecken. Sohn Bébert aber - Mama denkt, er studiert Medizin -
handelt mit Waffen. Und wird inhaftiert, als über Nacht eine „Neue
Ordnung" an die Macht kommt. Gegen die zieht Familie Hase zu Felde, um Bébert
zu befreien. Was freilich erst durch Hase Hases Hilfe gelingt, der als
„Außerirdischer" eingreift und alle Soldaten in Mädchen verzaubert. Was
auf dem Theater völlig legitim ist. Und welch' Schummelei mit der Wirklichkeit
man sich gefallen läßt, weil's einfach froh stimmt. Daß da kleine Leute eine
Chance haben. Wenigstens in ihrem Traum von einer gerechten Welt. Zu der ja möglicherweise
gerechte Außerirdische gehören! Möglicherweise zwar nur, aber immerhin.
Wunderbar locker die Schauspieler. Agil
und flott bei der Rede, stets genau, zupackend,
die Abläufe forcierend. Einfach brillant Katharina Thalbach, die clowneske Spielteufelin,
als quicklebendiges, überintelligentes Nesthäkchen Hase Hase. Dann Ursula
Karusseit als Mutter Hase, eine geplagte, sich für die Familie aufopfernde Mama
von urwüchsiger Lebenskraft. Ihr Epilog freilich gegen die Mordtaten der Männer
und für eine friedliche Welt hätte verdient, wie die Zwischenmonologe an die
Rampe genommen und der Turbulenz des Stückschlusses entgegengesetzt zu werden.
Jetzt geht diese Sublimierung der Stücksentenz ziemlich verloren. Schade!
Christian Grashof schließlich als Vater Hase ein liebenswürdig kauziger Alter,
der sich mit Macht dagegen stemmt, seine Lebenslust zu verlieren. Der sogar
plant, wie man jeden Tag operativ angeht. Wie man beispielsweise Beamte ärgert.
Welch Optimismus, welch
eine Aufforderung, sich nicht unterkriegen zu lassen. Benno Besson, der große
Schüler Bertolt Brechts, liefert in der Stadt des Dichters und Regisseurs einen
Beweis für aktuelles sozial-realistisches Theater, dessen nobelste Funktion
ist: zu vergnügen. Bravo!
Neues
Deutschland, 19. Mai 1992