„Tod eines Handlungsreisenden“ von Arthur Miller im Maxim Gorki Theater Berlin, Regie Siegfried Bühr

 

 

 

Lernen, lernen und nochmals...

 

Sich von Illusionen verabschieden. Wer muß das nicht in seinem Leben! Hut ab vor jedem, der dies mit Würde und Anstand zu bewältigen vermag. Im Berliner Maxim Gorki Theater ist jetzt dreieinhalb Stunden lang ein Fall zu besichtigen, der symptomatisch ist für die amerikanische Gesellschaft, die ja bekanntlich die „allerbeste" ist. Dort endet die Angelegenheit mit Tod. Arthur Miller legte 1949 seine Auffassung dazu in seinem Schauspiel „Tod eines Handlungsreisenden" nieder.

Willy Loman, über 60 Jahre alt, hat es zu einem kleinen Haus gebracht, noch nicht ganz schuldenfrei, fast ohne Sonne inmitten von Wolkenkratzern, aber immerhin. Jetzt spürt er, daß er seinen Job nicht mehr ausfüllt. Er fährt 1000 Kilometer nach Hause zurück, obwohl er nichts verkauft hat. In der Nacht der Heimkehr und am folgenden Tage noch klammert er sich unverdrossen an die Illusion, als zwar alter Mann doch noch das große Geschäft zu machen. Und seine zwei Söhne, Biff und Happy, die über 30 sind, es aber zu nichts gebracht haben bisher, verklärt er in seinen Vorstellungen zu wahren Glücksrittern des Erfolges.

Doch nachdem er sein Leben noch einmal hat Revue passieren lassen und unterm Strich vor allem den Rausschmiß aus der Firma abrechnen muß, für die er 30 Jahre treu geschuftet hat, kann ihn niemand mehr halten. Er stürzt zum Auto und rast in den Tod. Er setzt ein Zeichen. Aber niemand wird es wahrnehmen, geschweige denn verstehen. Linda (Monika Lennartz), seine kleine, schmächtige und so geduldige Frau, fühlt sich „frei" an seinem Grab.

Das Bemerkenswerte an Siegfried Bührs Inszenierung ist wahrscheinlich, daß sie sich objektiv verhält, daß sie mit ihren prägnanten Bildern in einer Häuserschlucht (Ausstattung Eberhard Keienburg) nicht zu werten und zu rechten versucht. Und Klaus Manchen hält diesen Willy Loman hervorragend im Gleichgewicht. Er spielt mit Verständnis dessen wahnwitzigen Illusionismus, aber auch dessen letztendliches Weglaufen in den Tod.

Kein Held, dieser Willy, gewiß nicht, ein Opfer der widrigen Umstände einer Gesellschaft, die die Würde des Menschen realiter nicht kennt, es sei denn die des Erfolges auf dem Markt. Die Tragik dieses Handlungsreisenden ist, daß er sich so absolut, so überhaupt ins Geschäftemachen hat verstricken lassen. Und daß er, freilich wohl nur allzu folgerichtig, Feind und Freund nicht mehr zu unterscheiden vermag. Howard Wagner (Daniel Minetti), den smarten Juniorchef der Firma, bittet er vergebens um die weitere Anstellung. Den gutmütigen Charley (Wolfgang Hosfeld), den Freund der Familie, der ihm einen auskömmlichen Job fast aufdrängt, lacht er nur aus. Illusionen hat er, bis zuletzt.

Einen erbitterten Kampf führt er mit seinem Sohn Biff (Götz Schubert). Der hat ihn nämlich in Boston beim Fremdgehen überrascht und kann es dem Daddy nicht verzeihen. Und Vater kann es nicht wegstecken, daß Biff die Mathematik-Prüfung verpatzt hat. Sohn Happy (Thomas Rühmann), dem oberflächlichen Schürzenjäger, gelingt es nicht zu vermitteln.

Erfolgsdenken, das konstitutive Element der amerikanischen Mythologie, wird vorerst fast weltweit das Sinnen und Trachten der Menschen bestimmen. Gut, daß Arthur Miller seine Bemerkung dazu gemacht hat: Sich im Dschungel durchzusetzen, verlangt ganze Kerle. Wir müssen's lernen, lernen und nochmals lernen. Und wehe dem, der die Nerven verliert!

 

 

 

Neues Deutschland, 25. Februar 1992