„Der rote Hahn“ von Gerhart Hauptmann in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin, Regie Horst Lebinsky

 

 

 

Vom Zeitgeist angestiftet

 

In Thomas Langhoffs Inszenierung des »Biberpelz« (1993) von Gerhart Hauptmann war Horst Lebinsky der Ehemann der Waschfrau Wolffen. 1997 ist er wieder mit ihr zugange, doch nun als ihr Regisseur. Er setzte ihren letzten Coup in Szene, vom Dichter in Fortsetzung des »Biberpelz« in der Tragikomödie »Der rote Hahn« festgehalten. Kontinuität am Deutschen Theater in Berlin. Bei einem Dramatiker. Bei den Künstlern.

Jutta Wachowiak hatte die Wolffen gegeben: Unter Lebinsky spielt sie wieder diese gewiefte, listige Frau, welche Witwe ist inzwischen, aber bereits neu verheiratet, nämlich mit Schuhmachermeister Fielitz. Ihr Kontrahent, Amtsvorsteher Baron von Wehrhahn, ist wieder Dieter Mann. Mit Reimar Joh. Baur als Fielitz, Otto Mellies als gewesener Gendarm Rauchhaupt und Daniel Morgenroth als Schmiedemeister Langheinrich komplettierte Lebinsky sein Ensemble. So war in den Kammerspielen schauspielerische Solidität gewiß.

Ergötzte damals, wie zu Kaisers Zeiten eine Plebejerin einen deutschen Bürokraten austrickst, so amüsiert jetzt, wie untertänige Bürger in preußischer Amtsstube eine Lippe riskieren und aus wachsendem Groll keinen Hehl machen. Vor allem jedoch erinnert die Inszenierung daran - was für das Stück im Spielplan spricht -, daß in Deutschland Geschäftemacherei mit Immobilien nach wie vor aktuell ist. Gerhart Hauptmann, der Realist.

Ihm vertraute der Regisseur. Erfreulich, wie er ins Werk hineinzuhören verstand und Herz und Seele der Figuren aufzuspüren vermochte. Wobei er im Tragikomischen - bis auf wenige Momente -stilsicher ist bis ins Detail. Die Vorgänge gibt er verhalten pointiert und situativ genau, sehr behutsam auch ironisch.

Pure Milieu-Kunst zu meiden, half ihm der Bühnenbildner, erfahrener und bewährter Mann am Hause. Obwohl Hauptmann eine Szene »Irgendwo um Berlin« vorgibt, also sozusagen unverbaute märkische Gegend, montierte Eberhard Keienburg Hinterhof-Schluchten mit entsetzlich qualmenden Schloten. Wohn-Öde des kleinen Mannes antizipiert. Inmitten hoher, trister Mauern also begibt sich das Spiel. Das Giebelzimmer in Langheinrichs Schmiede schließlich, das Sterbezimmer der Fielitz, ist dunkel und gruftig wie eine Gefängniszelle. Draußen Licht und fröhliche Bauleute, drinnen, beim Bauherrn, Finsternis und Tod. Die Fielitz, zurechtgemacht jetzt wie eine standesbewußte Geschäftsfrau, emsig noch eben neu disponierend, stirbt unerwartet, erlebt ihr neues Haus nicht mehr.

Es war nicht bittere Not, die die Fielitz der Jutta Wachowiak auf verbrecherische Mittel sinnen ließ. Der Zeitgeist stiftete sie an. Wenn Schacher mit Häusern und Grundstücken bei den Reichen Brauch geworden ist, warum dann sollten arme Schlucker redlich bleiben? Sie fassen die Gelegenheit beim Schöpfe und fackeln ihre alte Behausung ab, um Platz zu schaffen für ein Mietshaus. Der zunächst zimperliche Ehemann lebt sichtlich auf, als die Sache gelaufen scheint. Daß ihm der Tod die Frau nimmt - Hauptmanns moralischer Kodex ließ andere Lösungen nicht zu.

Amtsvorsteher von Wehrhahn ist in Dieter Manns deliziös komischer Darstellung nach wie vor ein Paradebeispiel für das, was man Wurzeln deutscher Bürokratie und Justiz nennen könnte. Ungebrochener Aristokrat vom Scheitel bis zur Sohle, souveräner Herrscher in seiner Amtsstube, nicht einmal durch unverhohlene Aufmüpfigkeit aus der Fassung zu bringen, scheinbar korrekt nach allen Seiten, versteckt aggressiv gegen den Juden, wohlwollend gegenüber seinem Polizeispion Fielitz.

Halten wir noch einmal fest: Gerhart Hauptmanns »Roter Hahn« wurde 1901 am Deutschen Theater uraufgeführt. Obwohl konventionell in der Machart, scheint das Thema des Stückes unverbraucht. Hat sich in diesem Jahrhundert wirklich nichts verändert in Deutschland?

 

 

 

 

Neues Deutschland, 4. November 1997