„Der rote Hahn“ von Gerhart Hauptmann am Renaissance-Theater Berlin, Regie Gerhard Klingenberg

 

 

 

Der heiße Abriss der Frau Fielitz

 

Frau Fielitz, die vormalige Mutter Wolff aus Gerhart Hauptmanns „Biberpelz", sitzt in ihres Mannes Werkstatt und hantiert mit Kerze und Kistchen. Wie läßt sich am besten ein Feuer entfachen, ohne daß es den Täter verrät? In der Tragikomödie „Der rote Hahn" geht es nicht mehr um Diebstahl. Jetzt will die Fielitz, angesteckt durch den Geschäftsgeist der Gründerjahre, ihren Schnitt machen. Die Versicherungssumme will sie kassieren, um sich ein neues Haus zu bauen. Vorher aber muß sie ihr bisheriges Heim anzündeln.

Diese Verfahrensweise, so ist es überliefert, und so erfuhr es auch Gerhart Hauptmann, war in den Jahren 1891 bis 1896 in dem Dorf Kienbaum in der Mark Brandenburg geradezu Brauch geworden. Seither sind hundert Jahre vergangen. Heutzutage berichtet die Presse von „warmen Sanierungen" in Berlin. „Heißer Abriß" wird der Vorgang auch genannt. Es gibt „Konkursbrandstiftungen". Stets ist Versicherungsbetrug das Ziel. Offenbar lohnt es sich in Deutschland noch immer, geschickt zu zündeln.

Insofern ist Intendant Gerhard Klingenbergs Griff zu diesem Stück verständlich. Doch Analogien in die Gegenwart erschließen sich – außer im Programmheft - leider nicht. Das Geschehen auf der Bühne des Berliner Renaissance-Theaters kommt mir eher vor wie eine nostalgische Ehrung für Theaterfiguren. Denn Regisseur Gerhard Klingenberg gibt kaum die naturalistische Einbindung der Gestalten in soziale Prozesse. Nur andeutungsweise erahnt man die neuartigen Geschäftspraktiken des Bauführers Schmarowski (Horst Pinnow), die prekäre Situation des zurückgekehrten jüdischen Arztes Dr. Boxer (Gunter Schoß), die schon fast verschwörerische Aktivität der Dorfbewohner in Baron von Wehrhahns Amtsstube. Der auf zügigen Ablauf des Abends bedachte Regisseur hat mit dem Rotstift nicht nur Text, sondern auch poetische Substanz eingespart.

Klingenberg polarisierte das Stück auf die Auseinandersetzungen der Fielitz mit ihrem Mann, dem Schuhmachermeister und Polizeispion, und mit Rauchhaupt, dem preußischen Gendarmen außer Dienst und Vater des imbezilen Sohnes, der des Zündeins verdächtigt wird. Hier allerdings gelangen theatralisch wirkungsvolle Szenen.

Wie Fielitz (Horst Schultheis) aufbegehrt, wie ihm bewußt wird, welch hartherziges Weib er geheiratet hat, wie er noch einmal laut wird und sich dann apathisch nur noch am endlich gekauften, langersehnten Regulator festhält, das beeindruckt. Auch wie die unversöhnlichen Gegner, die Fielitz und Rauchhaupt (Klaus Behrendt), zu letzter Attacke aufeinander losgehen, ist bemerkenswert. Rauchhaupt hat sich zwar nie sonderlich um seinen Sohn gekümmert, aber seit Gustav in einer Anstalt ist, bohrt das Gewissen. Er vermutet in der Fielitz die Brandstifterin. Er stichelt aggressiv, er droht, er schreit seinen Kummer heraus. Und er trinkt Wein mit der Widersacherin.

Die Frau Fielitz hat in der Gestaltung von Gisela May die böse Selbstsicherheit einer eiskalt kalkulierenden Geschäftsfrau und den Habitus einer vom Leben gezeichneten Mutter. Gelegentlich läßt sie erkennen, daß ihr zärtliche Empfindung nicht fremd ist. Doch wenn sie in der Amtsstube Unschuld heuchelt, wenn sie sich durchsetzen will, ist's nicht allein Kalkül, scheint's aus verhärteter Seele zu kommen.

Ansonsten: Der Herr von Wehrhahn glatt und standesborniert (Peter Matic), Schmiedegeselle Ede respektlos dreist (Axel Prahl). Allerhand Beifall.

 

 

 

Neues Deutschland, 2. Februar 1992