„Peer Gynt“ von Henrik Ibsen am Deutschen Theater Berlin, Regie Friedo Solter

 

 

 

Von einem, der auszog, ein Kaiser zu werden

 

Henrik Ibsens „Peer Gynt" wird gern als Lesedichtung eingestuft. Eine Bühnendarstellung, immer ein reizvolles Abenteuer, kann nicht alle möglichen Deutungen bedienen. Am Deutschen Theater in Berlin inszenierte Friedo Solter hin zu einer Sentenz aus Ibsens „Brand": „Wen Gott vernichten will, den macht er zum Individuum, dann lacht er." Tragikomische Satire auf einen Menschen, der sich herauszulösen versucht aus der Masse und sich zwischen Schein und Sein, zwischen Phantasie und Wirklichkeit aufreibt.

Daniel Morgenroths Bauernjunge Peer Gynt ist nicht so sehr ein verträumter Romantiker und Phantast, sondern der ringende, tatkräftige Mann, der sich überhebt, weil sein ungeheures Ziel, Kaiser seines Lebens zu werden, auf dieser Welt unerreichbar ist, ja als Selbstsucht diffamiert wird.

Peer, der Liebling seiner verarmten Mutter Aase (einer bei Jutta Wachowiak wild-vitalen Frau), ist zunächst einmal scharf auf das Weib. Er erobert sich Ingrid, die gerade heiratet, hat sich aber inzwischen in die seelisch edle, doch besitzlose Solvejg (Claudia Geisler) verliebt. Zugleich beglückt er drei Sennerinnen, vernarrt er sich in eine Trolldame (Eva Weißenborn sehr dämonisch). Letztere Liaison, der ein Wechselbalg entspringt, hindert ihn, mit Solvejg ein braves Bürgerleben zu beginnen.

Morgenroths Peer ist bis dahin ein gutartig-ungestümer Jüngling, ausgelassen, unternehmungslustig. Die Mahnung eines ominösen großen Krummen, „außen herum zu gehen", erreicht ihn nicht recht. Er weiß, er ist vogelfrei in seiner Heimat. Zu Reue findet er nicht. Also geht er mitten hinein in die Welt.

Wir begegnen ihm wieder als erfolgreichem Geschäftsmann in Marokko. Peer ist jetzt gezeichnet vom Leben, müde im Schritt, schwermutig in der Geste, kalt im Kalkül. Nicht clever genug. Räuber brennen mit seinem Vermögen durch. Ein eingreifendes Schicksal, von Peer angerufen, läßt die Diebe untergehen. Er ist mittellos. Aber siehe, er findet Pferd und Kleidung des marokkanischen Kaisers.

Diese wunderlichen Passagen nimmt Solter fast sarkastisch. Morgenroth zelebriert einen Opernsänger, wenn er mit einer sächselnden arabischen Schönen turtelt. Aber Anitra (Franziska Hayner) läßt ihn in der Wüste sitzen. Schließlich landet er im Irrenhaus des Dr. Begriffenfeldt (Christine Schorn), wo er zum „Kaiser der Selbstsucht" gekrönt wird.

Auf dem Weg zurück in die Heimat, als ein alter Mann, tötet Peer Gynt noch einen Menschen, um einen Schiffbruch zu überleben. Nun greift der Knopfgießer nach ihm, ein Sendbote des Teufels, um ihm seine Nichtigkeit zu beweisen. Immerhin hockt Peer inzwischen auch mal in einer Mülltonne. Solvejgs treue Liebe erlöst ihn.

Die fünfstündige Aufführung, unterwegs im bunt-romantischen Bühnenbild Hans-Jürgen Nikulkas etwas ihren Atem verlierend, zieht gegen Ende noch einmal kräftig an. Eva Weißenborn (Passagier), Otto Mellies (Knopfgießer) und Michael Walke (Der Magere) geben den Szenen im Spiel mit dem faszinierenden Daniel Morgenroth Dynamik und Bestimmtheit. Die Inszenierung, ironisch, gelegentlich keck verspielt im Umgang mit Christian Morgensterns drastisch-einfältiger Vers-Übertragung, hat viele schöne realistische Töne. Solter bleibt dem Mythischen, auch Mystischen dieser Dichtung vielleicht die Konvention schuldig. Er will helles, elementares, urwüchsiges kommunikables Theater. Der herzliche Beifall und die Bravos gaben ihm recht.

 

 

 

Neues Deutschland, 3. Mai 1991