„Goldberg-Variationen“ von George Tabori am Maxim Gorki Theater Berlin, Regie Carl-Hermann Risse

 

 

Scheitern, scheitern und dennoch versuchen

 

Welche Kühnheit, die biblische Überlieferung von der Schöpfung bis zur Kreuzigung szenisch epigrammatisch aufzubereiten und trotz all der Katastrophen, von denen dabei die Rede sein muß, einen neuen Anfang zu postulieren. Dergleichen leistet sich der 79jährige George Tabori (bereits mit „Mein Kampf" und „Weisman und Rotgesicht" im Spielplan des Berliner Maxim Gorki Theaters) mit seiner Szenenfolge „Goldberg- Variationen" aus dem Jahre 1991. Eine komödische Flapserei über die biblische Geschichte mit immer wieder verblüffendem Tiefgang, eine theatrale Collage voller sinniger Anspielungen auf Historie und Gegenwart. Dogmen jüdischen Glaubens werden ironisiert, gemeint aber sind jegliche Dogmen.

Eine schwierige Aufgabe für die Regie. Triviale Bühnenproben, die ein Mr. Jay durchführt, und Szenen des Schöpfungs-Spektakels, das dem Herrn vorschwebt, müssen wie improvisiert entstehend gezeigt und zugleich präzis getimet werden. Licht, Ton, Kulisse, Schauspieler. Chaos. Carl-Hermann Risse versuchte zu ordnen. Er ist durchaus ein Mann für minutiöses Spiel, für komische Brechungen des Tragischen, tragische Akzente im Komischen. Er war erfolgreich mit Sobol, Fo, Bond. Mit Tabori aber tat er sich schwer. Er fand einfach den Dreh nicht, die altersweisen, alterskauzigen Texte und die dazu geforderten simplen Handlungen (etwa: Adam und Eva mit Hilfe der Schlange liebesübermütig in paradiesischem Ehebett, Vertreibung daraus mittels Feuerlöscher) locker und zugleich tiefsinnig zu servieren. Die Sorgfalt der Aufführung schien sie eher umständlich zu machen. Länge, wenn nicht gar Leerlauf empfand ich, wo Drive, Lebendigkeit und Pointierung vonnöten gewesen wären.

Mr. Jay (besetzt mit Albert Hetterle), Regisseur und Gottvater in einer Person, und zwar in ständig variierender Identität, war zu trocken, zu resignativ, zu langsam angelegt. Mr. Jay schien bei Hetterle ein rechthaberischer Bürokrat, ist aber wohl eher ein souverän-autoritärer, mobiler, bibelkundig schwadronierender Egozentriker. Dieser Mann kreiert mit selbstbewußter Energie eine Show über die biblische Geschichte („The show must go on!"), erlebt dabei, auf der Welt, auf dem Theater, in immer wieder neuen Varianten, eine Panne nach der anderen. Schließlich läßt er- dies keine Panne, sondern Kalkül - seinen Regieassistenten, den Juden Goldberg, ans Kreuz schlagen. Gott versagt. Die Schöpfung ein Mißgriff.

Hansjürgen Hürrig, der den Goldberg gibt, trifft den duldenden Juden wie den geplagten Regieassistenten mit anrührender Bestimmtheit. Von ihm scheint mir die Mentalität des Stückes bedient, diese aberwitzige Mischung von bitterernster Bedeutung und mal rotziger, mal feinsinniger Ironie. Gundula Köster, umworbene Putzfrau Mopp, kapriziöser Superstar Tormentina, erläutert als Chefin der Requisite Ernestina van Veen professionell-sachlich Varianten grausamer Hinrichtung allein bei der Kreuzigung. Wie einfallsreich doch weiß der Mensch zu töten.

„Ist dies die beste aller Welten?" fragt Goldberg. „Kennst du eine bessere?" fragt Mr. Jay (Gott) zurück. Und Goldberg antwortet: „In meinem Kopf!" Womit Tabori sein philosophisches Statement abgibt: Eine unverdrossene, geradezu rebellische Hoffnung auf Versuche des Menschen, Gott näher zu kommen, trotz alledem auf Erden. Scheitern, scheitern und dennoch versuchen...

 

Neues Deutschland, 7.Oktoberr 1993