„Die Glasmenagerie“ von Tennessee Williams in der
Studiobühne des Maxim Gorki Theaters Berlin, Regie Mark Zurmühle
Sensibel trotz Grellheit
Der Zuschauer blickt hinab wie ins Gehege eines Zoos, wo
seltene Exoten untergebracht sind. Hansjörg Hartung hat den Raum der
Studiobühne des Berliner Maxim Gorki Theaters für Tennessee Williams stark
autobiographische »Glasmenagerie« so hergerichtet, daß die Figuren ihre
Erinnerungen nicht naturalistisch ausleben können, wie das dem Dichter 1943/44
vorschwebte. Hier sind sie - sozusagen unter dem Druck der Zeugenschaft der auf
sie herabschauenden Besucher - gezwungen, sich extensiv zu offenbaren, ihr Leben
radikal vorzuführen. Mark Zurmühle, ein Schweizer in Berlin, erstmals
Regisseur am Hause, nutzt den Raum für ein gerafftes, das Geschehen
gelegentlich bis ins Groteske treibendes Spiel. Nicht banale Alltäglichkeit und
Sentimentalität herrschen vor, sondern rauhe, robuste Kreatürlichkeit. Wobei
fasziniert, daß nicht oberflächlich theatert wird, sondern aller Grellheit
psychologisch genau gearbeitete Beziehungen der Figuren zugrundeliegen. Das
ist, auch weil man den Schauspielern so nahe sitzt, eine höchst spannende
Angelegenheit.
Ein seit langem schwelender Konflikt bricht aus. Amanda Wingfield aus
St. Louis hat ihre Kinder, Tom und Laura, allein erziehen müssen, denn ihr Mann
ist ihr vor siebzehn Jahren davongelaufen. Die drei leben vom kleinen Einkommen
Toms, der als Lagerarbeiter untergekommen ist, heimlich dichtet, nächtelang im
Kino sitzt und es seinem Vater lieber heute denn morgen gleichtun möchte. Mutter
will Laura unter die Haube bringen. Die Tochter, ein wenig spinnert schon,
beschäftigt sich lieber mit ihrer Sammlung von winzigen Glasfiguren, als sich
für eine Büroarbeit zu qualifizieren. Das Problem: Laura ist von Minderwertigkeitsgefühlen
geplagt, weil sie einen Gehfehler hat. Auf Drängen der Mutter lädt Tom seinen
Arbeitskollegen Jim ein.
Kaum erfährt Amanda vom bevorstehenden Besuch, denkt sie
auch schon an die Hochzeit, putzt sie sich und die sich sträubende Laura
heraus. Monika Lennartz führt vor, Haltungen der Figur immer wieder souverän
brechend, daß diese verlassene Ehefrau - am liebsten von den zahlreichen
Verehrern ihrer Jugendzeit träumend - in ihren besten Jahren schon einigermaßen
wunderlich ist und gar nicht spürt, wie penetrant sie ihre erwachsenen Kinder
bevormundet. Tilo Werner, sehr sensibel, situativ genau, läßt nachempfinden,
wie dieser Sohn unter seiner Mutter leidet. Bettina Lohmeyer, gefühlsinnig,
mimisch ausdrucksvoll als Laura, ist zunächst ein unscheinbares,
menschenscheues Aschenputtel, mit widerborstig-trotzigem Willen, deutlich als
junge Frau aufblühend, als sie Zuneigung Jims vermutet.
Dieser Jim O'Connor, der da ahnungslos im Hause der
Wingfields auftaucht, ist bei Robert Lohr in vorzüglichen Händen. Ein
selbstbewußt gemütlicher Bursche, als hätte er einen verlässlichen »American
way of life«-Ratgeber unter der Jacke, und zwar die »Soft-Ausgabe«. Verdutzt,
aber gefaßt, verschmitzt dann auch, erträgt er die Schrulligkeiten Amandas. Und
er findet nichts dabei, sich einen kleinen Flirt mit Toms Schwester zu leisten,
obwohl er verlobt ist. Immerhin stiehlt er sich nicht einfach davon, sondern
gibt ehrlich zu, daß da nichts laufen kann mit Laura ...
Ein wertvoller Abend besinnlichen Nachdenkens.
Neues
Deutschland, 6. Dezember 1996