„Das Glas Wasser“ von Eugène Scribe in der Komödie am Kurfürstendamm
Berlin, Regie Horst Bonnet
Kleine Intrigen und große Politik
„Das Glas Wasser" des Franzosen Eugène Scribe (1791-1861), das Horst Bonnet in der Komödie am Kurfürstendamm kredenzt, nannte der Kritiker Otto Brahm schon vor hundert Jahren einen „Ladenhüter des Virtuosentums". Die 1840 uraufgeführte Komödie scheint tatsächlich abgestanden. Doch dieses in Scribes Theatermanufaktur gefertigte, um nicht zu sagen exzellent zusammengequirlte Stück ist durchaus kein Ladenhüter. Im Gegenteil. Im Gewande theatraler Konvention, in Form eines Ränkespiels der Liebe, wird Kritik geübt an gängigen, auch heute noch anzutreffenden miesen Praktiken machtbesessener Politiker.
St. James
Palast in London. Um 1710 hat sich Königin Anna insgeheim in den Fähnrich
Masham verliebt, den auch ihre politische Gegenspielerin, Lady Churchill, die
Herzogin
von Marlborough, im Stillen ins Herz geschlossen hat. Fähnrich Masham hat davon
keine Ahnung, wundert sich über seine Förderung und ist ansonsten verliebt in
die kleine Juwelenhändlerin Abigail, die die Liebe erwidert. Rettungslos verknotet
das Ganze, wäre da
nicht Henry St. John, Vicomte von Bolingbroke, bei dem alle Fäden politischer
und erotischer Intrige zusammenlaufen. Er ist ein wahrer Meister höfischer
Kabale. Er macht mit der Liebe Politik. Sein edles Ziel: Beendigung des Krieges
gegen Frankreich, den die Herzogin fleißig schürt und den ihr Gatte Marlborough
eigennützig führt.
Ränkespiel hin, Ränkespiel her. Schließlich zeitigt die Übergabe
eines Glases Wasser an die Königin folgenreiche Entscheidungen: Der Majestät erotische
Sehnsucht wird nicht - wie heutzutage üblich - in aller Öffentlichkeit publik.
Und: Abigail und Masham können heiraten! Außerdem: Henry entlarvt das
schmutzige Treiben der Herzogin und bricht den Einfluß der Kriegspartei bei
der Königin. Obendrein: Henry darf das Parlament auflösen und die neue
Regierung bilden! Sieg der Demokratie? Jedenfalls erfährt man nebenher: Auch
und gerade die scheinbar absolut Mächtigen haben ihre Schwächen. Hat man die
erst einmal erkannt, müssen sie selbst in großen Fragen klein beigeben.
Trotz dieser Aktualität: Die Komödie wirkt
nun allerdings tatsächlich sofort einigermaßen zopfig, wenn sie nicht virtuos
gespielt wird. Horst Bonnet, bekannt von Regiearbeiten an der Staatsoper und an
der Volksbühne, hat nicht nur daraufhin den Text bearbeitet, er hat auch
entsprechend besetzt. Aber sein Fähnrich Masham war ein Fehlgriff.
Gebraucht würde ein zwar naiver, aber strahlend schöner und charmanter junger
Bursche. Jedenfalls ein Kerl, bei dem man glauben kann, dass sich in ihn
gleichzeitig eine redliche Juwelenverkäuferin, eine einsame Königin und eine
intrigante Herzogin verknallen. Sebastian Jacobs Masham jedoch scheint aus
einem anderen Stück. Sein hölzernes Ungeschick wäre vielleicht für eine Marionettenbühne brauchbar. Hier legt es fast
den Drive der Komödie lahm.
Wenn der Abend dennoch als gelungen abgebucht werden
kann, dann wegen Chariklia Baxevanos als Königin Anna und Michael Degen als
Henry St. Jones. Sie kreiert die Majestät als eine wirklich absolute,
liebenswürdige Unschuld, hilflos ausgeliefert den Intrigen des Bösen wie den
Kapriolen ihres Herzens. Sie girrt, gurrt, schmachtet und echauffiert sich auf
wahrhaft königliche Weise. Er stellt einen noblen Adligen hin, einen profunden
Kenner der politischen Szene wie des weiblichen Herzens, charmant, höflich,
hinterlistig zwar, aber eben nicht nur zu seinem Wohle. Johanna von Koczian
führt die Boshaftigkeit der Lady Churchill etwas äußerlich vor. Lina Wendels Abigail,
frisch, gelöst, natürlich, ist von wirklich herziger Naivität.
Neues Deutschland, 31. Januar 1995