„Top Girls“ von Caryl Churchill am Maxim
Gorki Theater Berlin, Regie Siegfried Höchst
Top Girls zwischen Arbeit und Kinderkriegen
Dieser „Frauen"-Abend in der
Studiobühne des Berliner Maxim Gorki Theaters klingt lange nach. Zu erleben ist das Schauspiel „Top Girls" der Engländerin Caryl Churchill.
Ein Stück über Feminismus, exzellent inszeniert von Siegfried Höchst.
An einer Festtafel treffen sich prominente Frauengesalten der Geschichte: Der legendäre Papst Johanna (855-857?), gespielt von Jenny Gröllmann. Die kaiserliche japanische Konkubine Nijo aus dem 13. Jahrhundert, gespielt von Ursula Werner. Die Weltreisende Isabella Bird (1831-1904), gespielt von Anne-Else Paetzold. Die Dulderin Griselda aus Boccaccios Decamerone, gespielt von Monika Hetterle. Die tolle Grete aus dem Gemälde Pieter Brueghels, gespielt von Annett Kruschke.
Eingeladen und in die Gegenwart
gebeten sind die Damen von der kühl-charmanten Marlene (Ruth Reinecke), die auf
ihrer Party stolz und glücklich verkündet, Geschäftsführerin des Stellenvermittlungsbüros
„Top Girls" geworden zu sein. Im übrigen erfährt der Zuschauer von den
überaus redseligen Damen, daß sie zwar Mütter geworden sind — selbst der
weibliche Papst, weshalb er gesteinigt wurde —, aber aus den verschiedensten sozialen
Gründen ein gebrochenes Verhältnis zu ihren Kindern haben.
Womit — etwas ausführlich — exponiert
ist, worauf es der Autorin ankam. Sie wollte der Frage nachgehen, ob es für die
Frauen lohnt, bessere Männer zu werden, ob es einen glücklichen Weg gibt
zwischen Arbeit und Kinderkriegen.
Marlene, die
emanzipierte, designierte Chefin des Büros kommt aus „einfachen
Verhältnissen". Sie hat die Provinz, hat Mutter und Schwester verlassen
und sich „hochgearbeitet". Und sie hat ihre Tochter Angie verlassen, die
bei Schwester Joyce aufwächst.
Die Auseinandersetzung zwischen den
Schwestern ist der künstlerische Höhepunkt des an schauspielerisch wunderbaren
Details reichen Abends. Die Marlene der Ruth Reinecke: eine hochintelligente,
sensible, erfolgsbewußte, scheinbar kalte, Emotionen unterdrückende Dame der
Oberen der Zweidrittelgesellschaft. Und die Joyce der Ursula Werner: eine Frau von
unten, eine vom Putzfrauen-Alltag gezeichnete, warmherzige Mutter, aber voller
Grimm, voller Wehmut, von verlöschender Lebenskraft. Wie sich die Schwestern attackieren,
wie sie sich gegenseitig trösten, wie sie letztlich doch unversöhnt
auseinandergehen, das ist aufrührend gespielt.
Aber nicht nur diese Szene ist vom Regisseur
im Bühnenbild Henning Schallers mit äußerster Präzision lebenskundig und
phantasievoll geführt. Ich kenne Regie-Arbeiten Höchsts in Karl-Marx-Stadt, an
der Berliner Volksbühne. Diese Inszenierung jetzt bringt ihn in die allererste
Reihe Berliner Regisseure, und zwar jener, die mit sozial konkret realistischer
Schauspielkunst Menschen erleben lassen.
Genau gezeichnete Frauengestalten:
Angie (Annett Kruschke), die wild pubertäre Halbwüchsige. Kit (Susanna Simon),
das frühreife Mädchen vom Hinterhof. Win (Anne-Else Paetzold) und Nell (Monika
Hetterle), die kapriziösen Büro-Damen. Mrs. Kidd (Renate von Wangenheim), die
gedemütigte Bittstellerin. Louise (Jenny Gröllmann), die tapfere Arbeiterin in mittlerer
Leitung, die sich aus Protest verändern möchte. Shona (Renate von Wangenheim),
das Lebemädchen.
Frauenbiographien, Frauenschicksale. Und
neben der Mülltonne eine Rangelei zwischen Angie und Kit über die Frage, ob es Krieg
geben wird...
Neues
Deutschland, 25. Januar 1991