„Geschichten aus dem Wiener Wald“ von Ödön von Horváth am Schlosspark-Theater Berlin, Regie Heribert Sasse

 

 

 

Tragisches Flair

 

Zum Auftakt das Quieken einer Sau auf der Schlachtbank, gefolgt von ge­mütlicher Schrammelmusik. Sodann Beschaulichkeit im achten Wiener Bezirk. Der Rittmeister (Ezard Haußmann) lobt die Blutwurst des Schlächters (Herbert Schöberl), plaudert mit der Tabakverkäu­ferin (Ingrid Mülleder). Idylle an der schö­nen blauen Donau? Oder Zwietracht und Unversöhnlichkeit hinter den freundlich ­einladenden Fassaden der alten kleinen Geschäfte?

Ödön von Horváths »Geschichten aus dem Wiener Wald« werden jetzt am Berli­ner Schloßpark-Theater im einerseits hei­meligen, andererseits sachlich-nüchter­nen Bühnenbild Thomas Keips als senti­mentale Mär aus dem vorigen Jahrhun­dert erzählt. Marianne, Tochter des »Zauberkönigs«, des Wiener Puppenklem­pners und -krämers Leopold, soll Oskar heiraten, den naiv-rohen Fleischhauer, verliebt sich aber in den arbeitsscheuen Tunichtgut Alfred und kriegt ein Kind von ihm. Der bornierte Vater verstößt seine Tochter, die sich daraufhin recht und schlecht durchs Leben schlägt, von Alfred verlassen wird, im Show-Geschäft tingelt und sich schließlich mit dem durch Schlaganfall gelähmten Vater versöhnt. Ihr Kind wurde unterdessen von Alfreds Großmutter umgebracht. So ist das liebe Mädel Marianne, ledig, seelisch zerbro­chen, erneut willkommene Braut Oskars. Zwar werden in vielen Teilen der Welt noch immer junge Frauen nach den Wün­schen der Väter verkuppelt. Für Deutsch­land ist derlei Demütigung schwerlich als noch typisch anzusehen, gar als ein die Gesellschaft bewegendes Problem. Wenn ein Theater dennoch zu dem »Volksstück« aus dem Jahre 1931 (Uraufführung unter Heinz Hilpert am Deutschen Theater Ber­lin) greift, sollte die außergewöhnliche künstlerische Darbietung die Entschei­dung rechtfertigen.

Was in Steglitz leider nicht zutrifft. Hausherr Heribert Sasse und sein Mitregisseur Helmut Schödel, der auch für die Dramaturgie zuständig zeichnet, haben nicht auf eine modern verfremdende, episch knappe, sozial genaue Spielweise orientiert. Sie setzten auf konventionelle Einfühlung. Und es erwies sich: Totales Identifizieren mit einer Hauptfigur, deren Handeln offensichtlich so gestrig wie kri­tikwürdig ist, funktioniert nicht mehr.

Sasse, der den »Zauberkönig« spielt, scheint das letztlich sogar gespürt zu ha­ben. Aber anstatt zurückzunehmen, eine kritische Distanz zur Gestalt aufzubauen, setzt er drauf, greift er voll ins Repertoire der Gefühle, versucht er das Publikum mit Emotionen zu erschüttern. Wie er den Schlaganfall des Vaters hinlegt, als der sei­ne Tochter nackt im Variete agieren sieht, ist schauspielerisch versiert, dennoch äs­thetisch unangebracht. Zu dem verhäng­nisvoll rückständigen Vater sollte man beim Publikum keine Sympathien aufbauen wollen. Anstatt den Zuschauer zu kriti­schem Blick zu stimulieren, umgibt Sasse die entsetzliche Borniertheit des Alten mit tragischem Flair.

Warum zudem Alfreds Freund, der zwielichtige »Geschäftsmann« Hirlinger, und der »Mister«, der betrunkene Ameri­kaner, gestrichen sind, bleibt unerfindlich. Bereits die Bearbeitung nimmt dem Stück soziale Relevanz und zwingt es in eine rein private Sphäre. Wodurch der Abend kon­ventioneller gerät, als das zweifellos veral­tete Stück ist. Da hilft auch die lebendige Donau auf der Bühne nicht, das Planschen in richtigem Wasser und das dahinschippernde Spielzeugboot als Symbol der Idyl­le.

Ausführlichkeiten, wo Raffung dienlich gewesen wäre, etwa beim Verlobungs-Treff an der Donau. Kürzungen, wo Infor­mation gut getan hätte, etwa beim Ver­hältnis zwischen Alfred und Großmutter (Malwine Moeller). Den windigen Alfred gibt Marcello de Nardo mit cooler Noncha­lance. Als der vom Tod seines Kindes er­fährt, behält er den Hut auf dem Kopf und die Hände in den Hosentaschen. Die emanzipatorische Marianne wird von Kristina Bangert mit mädchenhafter Un­befangenheit geboten, als scheu, zurück­haltend, aber elementar auflebend in der Liebe zu Alfred. Den treuherzig-bösarti­gen Oskar serviert Robert Hollmann mit trockener Selbstverständlichkeit.

 

 

 

Neues Deutschland, 17. Mai 2002