„Geld anderer Leute“ von Jerry Sterner im Berliner Renaissance-Theater, Regie Barbara Basel

 

 

Liquidation made in USA

 

Offenbar spielt sich in den USA seit langem ab, was nach der Okkupation der ehemaligen DDR durch West-Administratoren auch hier ganz gewöhnlicher Alltag geworden ist: Manipulation mit Geld, das andere erarbeitet haben.

Ein intimer Kenner der Wall Street, der 53jährige Amerikaner Jerry Sterner, klärt darüber auf. In seinem Schauspiel „Geld anderer Leute". Es war ein Renner am New Yorker Broadway, wird es wahrscheinlich jetzt am Berliner Renaissance-Theater werden. Dort hat es Barbara Basel, ihrer guten Schule des Wiener Burgtheaters treu, mit Drive, Sorgfalt und in werkgerechter Besetzung inszeniert. Um eine Idee zu gefällig allerdings.

Gewiß, Sterner nimmt die Welt unverdrossen, wie sie ist. Doch da ist auch Sarkasmus, jedenfalls etwas anderes noch als nur lockere Ironie. Seine theatrale Lektion über gezielte Firmen-Vernichtung als normales Börsen-Geschäft, über legale „Giftpillen", „Weiße Ritter" und „Goldene Fallschirme", über gängige „Liquidatoren"-Praktiken, ist trefflich gebaut. Der Konflikt, erotisch-pikant garniert, wird mit schlagfertigen Dialogen realistisch ausgetragen. Idealisten, Fürsprecher der Arbeiter, werden ins Aus geschickt. Und Lawrence, der obsiegende Börsen-Hai, heiratet Kate, seine ärgste Widersacherin... Für Zuschauer, die derlei soziale Perversion als Happy-End nehmen, bietet das Programmheft Nachhilfe, Beispiele von Betroffenen aus Berlin, Brandenburg und Umgebung.

USA also: Irgendwo in amerikanischer Provinz, in „Dreckstadt", existiert seit 75 Jahren die „Draht und Kabel AG", ein Betrieb, der 1200 Arbeiter beschäftigt, damit das Städtchen lebendig erhält und bislang über Krisen und Kriege immer wieder irgendwie hinweggekommen ist. Der Aufsichtsrat-Vorsitzende Andrew Jorgenson (Robert Freitag), ein im Dienst für die Firma ergrauter Mann, ist durchaus zuversichtlich, denn die Geschäftslage ist günstig, die Aktien werden zwar unter Wert, aber zu passabler Notierung gehandelt. Sein Geschäftsführer, William Coles (Volker Brandt), beurteilt das ebenso.

Aber Lawrence Garfinger (Wilfried Baasner als sympathischer Gauner), der moderne Revolverheld, der Liquidator, sieht das ganz anders. Per Computer rechnet er in seinem Wall-Street-Büro die Wirtschaftslage der Firma hoch. Er weiß, Drahtkabel sind Glasfaser-Kabeln weit unterlegen. Die Firma ist unrentabel und bald pleite, wenn sie ihre Produktion nicht rechtzeitig preisgünstig umstellt. Aber nicht einmal dafür gibt er ihr eine Chance. Systematisch kauft er deren Aktien auf. Eiskalt kalkuliert er: Die tote Firma (Immobilien, Maschinen usw.) wird letztlich mehr wert sein als die noch produzierende.

Natürlich wehren sich Jorgenson und Coles. Sie schicken die Rechtsanwältin Kate Sullivan (Susanne Uhlen), Tochter Bea Sullivans (Marion van de Kamp), der Geliebten Jorgensons, ins Feld. Die junge Chefin eines einflußreichen Büros läßt sich von Garfinger nicht betören. Im Gegenteil, sie nennt seinen ganzen Mannesstolz Winzling. Die Finanzschlacht um die Firma wird nebenher zur Geschlechter-Fehde. Ein legitimer dramaturgischer Trick. Didaktik lasziv gewürzt verkauft sich nun einmal besser.

Alle Cleverness der jungen Anwältin (Susanne Uhlen verbindet Charme und Hartnäckigkeit ausgezeichnet) kann die Firma nicht retten. Als es zur Aktionärs-Ver-sammlung kommt, auf deren Entscheidung sich die Kontrahenten schließlich geeinigt haben, ist Coles längst zum Mächtigeren auf die andere Seite übergewechselt. Man muß schließlich an sich selbst denken. „Was springt dabei für mich heraus?" fragt er unschuldig bedauernd ins Publikum. Und er antwortet: „Ist es nicht das, worum es am Ende immer geht?"

Die Gnadenlosigkeit der kapitalistischen Gesellschaft ist aktuell auf dem Theater seit langem nicht so direkt und so drastisch ins szenische Abbild genommen worden. Der Autor, zur Premiere mit Beifall begrüßt, ist sich dessen wohl bewußt. Offen erklärt er: „Rußland kriegt die Aufführungsrechte für ,Geld anderer Leute' nicht - man soll den Leuten den Kapitalismus nicht verleiden, bevor sie ihn haben."

 

 

Neues Deutschland, 11.November 1993