„Die Geisel“ von Brendan Behan im Berliner Ensemble, Regie Elisabeth
Gabriel und Ulrike Maack
Leider nur ein fulminantes Gaudi
Das ist eine fleißige Regiearbeit der Zadek-Assistentinnen Elisabeth Gabriel und Ulrike Maack. Ihr Meister flieht - laut „Wiener Kurier" - vor der „Brutalität des ostdeutschen Theaters" und der angeblich „menschenfeindlichen" ostdeutschen Haltung zur Kultur vom Berliner Ensemble nach Wien ans Burgtheater. Er hatte 1961 in Ulm die deutsche Erstaufführung der „Geisel" des irischen Dramatikers Brendan Behan (1923-1964) besorgt und hätte mit diesem phantastischen Stück seiner Auffassung von Theaterkunst in Berlin einmal mehr den verdienten Platz und weitere Anhänger sichern können. Aber eine Kämpfer-Natur ist Peter Zadek leider offenbar nicht. Die politisch rauhe Berliner Luft verschlägt ihm den Atem. Das ist bedauerlich, denn gegen nationalistisches „Gebimmel", das er sogar im BE hört, ist jedes humanistische „Läuten" bitter nötig.
Insofern verdient die erste gemeinsame Arbeit von Elisabeth Gabriel und
Ulrike Maack an eben diesem Theater besondere Beachtung. Auch wegen der künstlerischen
Handschriften. Als Thomas Langhoff das Stück im April 1989 am Deutschen Theater
brachte, suchte er in Behans kruder Mischung von Politdrama, Kriminalkomödie,
Volksstück, Musical und Tragödie nach Natürlichkeit, ohne die Theatralik zu
vernachlässigen. Sinnfällig wurde die Absurdität terroristischen Tötens.
Die jungen Regie-Damen betonen die Theatralik, den Effekt,
den Reiz, ohne sonderliches Bemühen um Wahrscheinlichkeit. Man ist a priori zu
einem fulminanten Gaudi geladen, bei dem hin und wieder dezidiert dem
Propagandisten Behan das Wort gegeben wird. Ansonsten unruhiges Hin und Her
auch dann, wenn Konzentration angesagt wäre. Etwas zuviel sich selbst genügende
melancholische Fröhlichkeit im heruntergekommenen Stundenhotel (Bühnenbild Wilfried
Minks) des irren Iren Musjö (Urs Hefti), in dem der gefangene englische Soldat Leslie,
die Geisel, bei einer Polizei-Schießerei ums Leben kommt.
Zunächst Alltag. Ständig Streit zwischen Hotelgästen, Nutten,
Transvestiten, Matrosen und dem Ehepaar Dillon, das die Absteige in Dublin bewirtschaftet.
Simone Frost gibt eine geplagte, schlampige Xanthippe Meg. Martin Seifert
trifft gut die schnoddrig-ironische Bissigkeit des Pat, der als IRA-Soldat ein
Bein verloren hat und nun jedem politischen Ärger aus dem Weg zu gehen sucht.
Streit auch mit Mr. Muleady (Stefan Lisewski) und seiner scheinheiligen
Besucherin Gilchrist (Carmen-Maja Antoni).
Dann Aufregung. Ein Hauptmann der IRA (Rüdiger
Kuhlbrodt) und Feargus, ein Freiwilliger (Christoph Müller), bringen den
gekidnappten Leslie. Niemand im Hotel glaubt an eine Hinrichtung. Man säuft,
palavert, singt und tanzt. Die ehemalige Klosterschülerin Teresa verliebt sich
in Leslie. Lilly Tschörtner (die artig ihren Text sagt) und Georg Bonn können
diese unvermutet aufkeimende Neigung als eine zärtliche, himmlische und doch
so wunderbar menschliche nicht so recht vermitteln. Die existentielle Sorge,
die eskalierende Angst des jungen Soldaten hingegen macht Bonn sehr glaubhaft.
Wenn sich am Ende die aufdringlichen Stricher Prinzessin Grazia (Götz
Schulte) und Rio Rita (Veit Schubert) sowie der obskure Mr. Muleady als Geheimpolizisten
entpuppen, kommt das überraschend auch für die Zuschauer. Allen Widersprüchen
der trunkenen Phantasie Behans beizukommen, ist halt schwer.
Neues Deutschland, 13. März 1995