„Gäste“ von Oliver Bukowski im theater 89 Berlin, Regie
Hans-Joachim Frank
Wo die Hühner noch Namen tragen
Kichern, glucksendes Lachen. Szenenbeifall. Clochemerle in der Niederlausitz. Zu besichtigen im theater 89, das sein zehnjähriges Bestehen feierte - mit Oliver Bukowskis Tragigroteske »Gäste«. In Chevalliers Roman geht es um ein Pissoir, bei Bukowski um ein Hotel. Vor allem aber geht es um liebenswerte Menschen, beim Autor aus Cottbus um besonders schrullige, kauzige, skurrile, naive. Das Stück ist eine Liebeserklärung an die Heimat und zugleich bitter-sarkastische Häme.
Hans-Joachim Frank, der Chef des Hauses, hat die
wundervoll-wunderliche Satire süperb inszeniert. Die Darsteller kosten die
bizarr-grotesken Situationen minutiös aus. Man wird landauf landab weit reisen
müssen, um auf einer Bühne so klassisch sauber forcierte und pointierte soziale
Komik zu finden.
An sich scheinen sich da in schräger Kulisse (Bühnenbild
Anne-Kathrin Hendel) nur herrlich hinterwäldlerische Dörfler auszuleben; doch
recht eigentlich blickt man wie in einen höllischen Abgrund, auf die trostlose
Welt-Verlorenheit eines ganzen Dorfes. Zumal Zeiten ausgebrochen sind, in denen
man Kraft aufbringen muß wie ein Kosmonaut, der den Mond ansteuert, damit's zum
Güllefahrer reicht.
Bukowski, der sich an seinen Laptop setzt und
drauflosschreibt - Abschweifigkeit sei ihm verziehen -, hat eine durchaus
alltägliche, um nicht zu sagen typische Geschichte superputzig ausfabuliert. In
Alt-Kreumel haben Erich und Kathrin, ein Ehepaar, einen Kredit aufgenommen und
in mühevoller Arbeit einen ehemaligen Saustall zu einem Hotel umgebaut. Es wird
»deutsch« gekocht werden! Die Dörfler kritikastern zwar, hoffen aber wie die
frisch gebackenen Hoteliers auf zahlungskräftige Gäste. Als nach neun Wochen endlich
einer auftaucht, der pensionierte Landvermesser Neugebauer (Thomas Dehler),
wird er aus Angst, er könnte alsbald wieder abreisen, geradezu absurd verwöhnt.
Erich (Bernhard Geffke) tanzt ergeben für ihn Amok, Ehefrau Kathrin (Marie
Gruber) sorgt für sein sexuelles Wohl, und die stramme ehemalige Melkerin Jutta
(Katrin Schell) verkuppelt ihre Tochter Edith (Christina Große) mit ihm.
Zwar gibt es ein, zwei flaue Phasen der episodischen
Handlung, ansonsten jagt ein kauziger Einfall den anderen. Szenisch an Komik
kaum zu übertreffen, wie gebannt die Dörfler den Gast beim Frühstück beobachten
(drei Eier von Hühnern, die noch Namen tragen!) und sich ihm dann unterwürfig
immer ungestümer aufdrängen. Ein exquisites Gaudi der nächtliche Disput zweier
Betrunkener in der Kirche, des Äppel-Treitschke (Thomas Pötzsch) mit Metzger
Hagedorn (Johannes Achtelik), über das Verhältnis zwischen Glück und
Sternschnuppen. Himmlisch grotesk auch die unglückliche Liebe Kathrins zum
ständig sturzbesoffenen Dorfpfarrer (Eberhard Kirchberg) sowie das Begräbnis
nach dessen überraschendem Tod, das Frau Stocklosa (Simone Frost), ein herziger
Weibskobold, künstlerisch ausschmückt.
Verdient herzlicher Beifall. Die Truppe war zu den Mühlheimer
Theatertagen eingeladen, hätte eigentlich zum Berliner Theatertreffen
nachgereicht gehört, wurde inzwischen nach Stuttgart und Chemnitz gebeten.
Neues
Deutschland, 7. Juni 1999