„Der Fall Furtwängler“
von Ronald Harwood am Schlosspark-Theater Berlin, Regie Heribert Sasse
Gratwanderung
Gegenüber dem
Schloßpark-Theater in Berlin-Steglitz, in einer Baracke, fand 1946 der
Entnazifizierungsprozeß gegen Wilhelm Furtwängler statt, einem der berühmtesten
deutschen Dirigenten. Von Anfang der 30er Jahre bis 1945 war er Chef
zahlreicher europäischer Spitzenorchester. Mit den Berliner Philharmonikern
feierte er internationale Erfolge. Während der NS-Zeit war er für kurze Zeit
Vizepräsident der Reichsmusikkammer (1933-34) und bis 1938 preußischer
Staatsrat. Der Künstler stand neben Richard Strauss und Hans Pfitzner als
dritter Musiker auf der »Gottbegnadeten-Liste« der Nazis. So galt Furtwängler
1945 als belastet. Im Verlaufe des
Verfahrens wurde Furtwängler in die Kategorie 4 der
Entnazifizierungs-Spruchkammern eingestuft,
das heißt, man entlastete ihn nicht, sondern hielt ihn für einen »Mitläufer«.
Im Mai 1947 dirigierte er wieder die Berliner Philharmoniker.
Jetzt brachte Hausherr Heribert Sasse ein Stück auf die
Bühne des Schlosspark-Theaters, das den »Fall Furtwängler« aus der Sicht des
1934 in Südafrika geborenen, seit 1951 in England lebenden jüdischen
Dramatikers Ronald Harwood behandelt. Der Autor rekonstruiert das Verfahren in
der Baracke und fragt mit der Gestalt des fiktiven Majors Steve Arnold bohrend
nach politischer Verantwortung. Wie konnte ein Künstler von faszinierender
Persönlichkeit und überragendem Können in einem rassistischen Regime
»mitlaufen«, das Europa mit Krieg überzog und Millionen Menschen morden ließ?
Harwood kann keine verbindliche Antwort geben. Aber er schärft die Sinne für
das widersprüchliche Verhältnis zwischen Kunst und Politik.
Furtwängler nannte sein Leben in Nazi-Deutschland eine »Gratwanderung zwischen Exil und Galgen«. Major Steve, unerbittlicher Sachwalter der Opfer, durchaus kein Fachmann in Sachen Musik, versucht hartnäckig, das für ihn unfaßbare Verhalten des »Bandleaders« zu ergründen. Schließlich sieht er als eine Erklärung an, daß das »Zwischen« eigentlich ein Paradies war, ausstaffiert mit Frauen, Villa und eigenem Luftschutzbunker sowie mit einer gewissen Garantie, mögliche unliebsame Konkurrenz, etwa die des jungen Herbert von Karajan, klein zu halten. Gewiß geht Steve nicht wie ein feinsinniger Psychologe vor, eher wie ein Kläger, der eine vorgefaßte Meinung bestätigt sehen möchte. Das immerhin stellt er klar: Furtwängler ließ sich mißbrauchen.
In der disziplinierten
Darstellung Marcello de Nardos bestechen Überzeugung und Unbedingtheit des amerikanischen
Offiziers. Zwar ist begründeter Haß im Spiel, der ein wenig blind macht für
differenziertere Betrachtung, doch letztlich dominiert die lautere Suche nach
der Wahrheit. Das ausgewogene Spiel auch der übrigen Akteure ist Regisseur
Heribert Sasse zu danken, der mit trefflichem Gespür für genaues situatives
Verhalten alle dramatischen Möglichkeiten des gut gebauten Stückes ausschöpft.
Oft genügt ein Zögern, ein stiller Blick, um beredt zu sein. Das windige,
leutselige Anbiedern des Spitzels Helmuth Rode (Helmut Strauss) sei benannt,
die angestrengte Zurückhaltung des assistierenden Leutnants Wills (Holger
Daemgen), die scheue Demut der Sekretärin Emmi (Brit Gdanietz), die wirre
Aufsässigkeit der Pianisten-Gattin Sachs (Gertrud Roll). Höchst überraschend
Erich Schleyer als Furtwängler, nicht nur wegen der imposanten Gestalt und der
Ähnlichkeit mit dem historischen Vorbild. Der Schauspieler stellt mit
überwältigender Ruhe einen selbstsicheren Maestro hin, der noch immer und
unerschütterlich davon überzeugt ist, nicht nur der Größte zu sein, sondern
auch völlig unschuldig. Die hehre Sturheit braucht nicht einmal spielerisch
leise kritische Ironie, sie richtet sich selbst.
Die unprätentiöse
Aufführung, die unspektakulär einen brisanten politischen Inhalt bedient, hinterlässt
einen nachhaltigen Eindruck.
Neues Deutschland, 11.
Juni 1998