„Die Frau vom Meer“ von Henrik Ibsen in den
Münchner Kammerspielen, Regie Thomas Langhoff
Zurück ins Puppenheim
Das tiefenpsychologische Fluidum der „Frau
vom Meer" des Norwegers Henrik Ibsen hatte 1888 den Reiz der Neuartigkeit.
Gewissermaßen lag Sigmund Freud in der Luft. Hundert Jahre später mutet die
ausführliche Liebesqual der Ellida Wangel an wie Seemanns-Zwirn aus Großmutters
Nähkörbchen.
Aber Thomas Langhoff vertraute der
dramatischen Substanz. Seine Inszenierung an den Münchner Kammerspielen, die im
Rahmen des Berliner Theatertreffens zu sehen war, empfiehlt ihn einmal mehr als
erstrangigen Menschen-Erkunder des deutschsprachigen Theaters. Es war gut, den
Berlinern diese Arbeit am Deutschen Theater, seiner künftigen Wirkungsstätte,
anzubieten. Nun hatte Langhoff eine ideale Besetzung für die Wangel. Cornelia
Froboess gibt eine Frau, deren sinnenkräftige natürliche Körperlichkeit sie
ständig mit einem etwas verqueren, labilkonfusen Gang bricht. Die mit Kreisarzt
Dr. Wangel verheiratete Frau ist in ihre Erinnerungen eingesponnen — an eine romantische
Verlobung mit einem verschollenen Seemann. Ihre erste Liebe, die keine
Erfüllung fand, läßt sie nicht los.
Das wird fast zum psychischen Tick. Aber die
Froboess spielt keine Kranke. Ihre Ellida schleicht, schlurft, huscht im Anwesen
des Gatten herum und an dessen erwachsenen Kindern vorbei wie hellwach
schlafwandelnd. Sehr ruhig, irgendwie selbstbewußt nutzt sie die seltsamen „Kult-Requisiten"
des Erinnerns und Sinnierens: einen kleinen Glas-Pavillon, in dem sie sich
einschließt wie in eine Vogel-Voliere, und einen flachen Pool, den sie
durchwatet wie das Meer. So lebt sie ein Doppel-Leben in dieser Familien-Idylle
in einem norwegischen Fjord (Bühnenbild: Jürgen Rose), eingeschlossen wie ins
Puppenheim. Und plötzlich — wie eine mythische Gestalt — steht der Geliebte
gebieterisch fordernd am Gartenzaun.
Jetzt kriegt die Angelegenheit eine
prinzipielle Note. Ellida möchte nämlich ohne Zwang entscheiden können. Ihr
honoriger Gatte (Claus Eberth) gibt sie großmütig frei. Und siehe da: Die aller
Ehefesseln ledige Frau des Meeres läuft nicht dem absoluten Seemann hinterher,
sondern bleibt bei ihrem relativen Ehemann. Langhoff und die Froboess machen es
möglich, daß diese Wende zurück ins Puppenheim szenisch akzeptabel bleibt. Und
ein wenig Ironie liefert der Regisseur denn noch: mit Musik vom Piano vorm
Bühnenportal.
Ansonsten zeichnen sich schauspielerisch aus:
Axel Milberg und Edgar Selge.
Neues Deutschland, 22. Mai 1990