„Jae Fleischhacker“ von Bertolt Brecht am Berliner Ensemble, Regie Thomas Heise

 

 

 

Keine Hoffnung für den kleinen Mann

 

Auf Bühnenlogen links und rechts verteilt sowie auf einem Podest im hinteren Parkett des Berliner Ensembles sitzt die »Bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot« und spielt (Komposition Wolfram Krabiell) eine forsche Ouvertüre zu Bertolt Brechts »Jae Fleischhacker«. Noch eben glaubt man, hier werde ein Fragment zum Musical aufgepeppt; doch sogleich wird's episch. Ein junger Mann erzählt aufgeklärt gemütlich über das Leben in Amerika: Jae Fleischhacker, ein aufstrebender Unternehmer in Chikago, der den Welthandel mit Weizen an sich zu reißen hofft.

Das nachgelassene, bis dato kaum beachtete Fragment, entstanden in den Jahren 1924/29, hat Regisseur Thomas Heise - so mein Eindruck - werkgetreu szenisch realisiert. Er hat die Uraufführung seiner Bühnenfassung (mit Ute Scharfenberg) zwar mit einer musikalischen Illustration versehen und insofern verziert, ansonsten das Unfertige, Bruchstückhafte nicht kaschiert, eher sorgfältig benutzt. Es scheint alles noch recht unaufgeräumt in der Werkstatt des begnadeten Dichters, aber schon unübersehbar ist dessen erwachender Sinn für soziales Schicksal in kalter kapitalistischer Gesellschaft.

Die Praktiken mit Geld seien sehr undurchsichtig, hatte Brecht gefunden und seiner Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann aufgetragen, Fachliteratur zu beschaffen und Börsianer auszufragen. Zwar schien die Fülle der neuen Erkenntnisse alsbald jedes herkömmliche Drama zu sprengen, auch blieb der »Mechanismus« des Kapitals letztlich unenthüllt, weshalb es Brecht beim Fragmente beließ, doch das Textmaterial, das er hinterließ, erzählt in komischer Zuspitzung schlüssig Wesentliches, daß da nämlich keine Hoffnung ist für den kleinen Mann. Die Familie Mitchell, die optimistisch in die Stadt Chikago kommt, um das große Geld zu machen, endet elend. Und der zum Börsianer avancierte Fleischhacker geht pleite, zerrieben zwischen Sintflut und Markt.

Vielleicht wird von der Regie ein bißchen gemogelt. Sie zeigt Jae, der wegen des einträglichen Geschäfts mit Weizen seinen alten Freund und Geldgeber Milk (Jörg Michael Koerbl) über die Klinge springen läßt, der also zum klassischen Boß und Ausbeuter mutiert, als einen zwar gewieften, ansonsten aber recht braven Gauner. Christoph Müller jedenfalls, finde ich, agiert eher als umgänglicher Prolet, denn als zynischer, besessener Geschäftemacher. Das ist mir zu bieder, hat keinen Biß. Hier ist auch Kostümbildnerin Meentje Nielsen nicht gerade beredt.

In seiner glücklosen Liebe zu Kate Mitchell (Catherine Stoyan) allerdings macht Müllers Jae gute Figur. Will sagen, er nimmt mit Fassung, was mißlang. Die Frau war ihm von ihren geldgierigen Eltern zugeführt worden, und in der Ehe wußten sie beide nichts miteinander anzufangen. Wie das halt so ist bei einer Geldheirat.

Vater Mitchell (Klaus Hecke) und Mutter Mitchell. (Annemone Haase), die schon mal hurtig mit dem Messer aufeinander losgehen, weil sich vom großen Kuchen nichts abzweigen läßt, verfallen in Resignation und wählen die Gosse. Und Sohn Calvin (Georg Bonn) landet auf dem elektrischen Stuhl; als Clowns-Nummer vorgeführt und Höhepunkt des Diskurses über Herrschende und Beherrschte, welche die Masse bilden und Gewalt anwenden werden. Mira Partecke als unzufriedene Masse (zuvor als versumpfte Bess Mitchell) zeigt anmutig komisches Talent. Und Stefan Kolosko macht als wandlungsreicher Erzähler auf sich aufmerksam.

Das vorwiegend junge Premieren-Publikum spendete der schnörkellosen, karg poetischen Aufführung Thomas Heises im funktionellen Bühnenbild Angelika Winters allerhand Beifall.

 

 

 

Neues Deutschland, 23. März 1998