„Die Verschwörung des Fiesco zu Genua“ von
Schiller am Nationaltheater Weimar, Regie Leander Haußmann
Salon-Rebellion in Genua
Liebenswürdig verspielte Regie ist selten an
deutschen Bühnen. Gar solche, die immer wieder zum Gegenstand zurückfindet.
Leander Haußmann griff sich Schillers republikanisches Trauerspiel „Die Verschwörung
des Fiesco zu Genua". Ausgerechnet am Nationaltheater Weimar scheint ihm
der Dichter zu entgleiten. Aber letztlich erzählt er verblüffend eindeutig:
Traurig ist's bestellt um republikanische Ideale. Damals wie heute.
Am Berliner Schiller-Theater, wo die Weimarer im Frühjahr zum Theatertreffen mit Ibsens „Nora" gastierten und Regisseur Haußmann reüssierte, bestätigten sich jetzt ihre Spielkultur und Haußmanns Talent. Mit unerschöpflicher Phantasie hat er seinen Schiller gelesen und dessen Haupt- und Staatsaktion freundlich-sarkastisch in einem barocken Ballsaal (Bühnenbild: Franz Havemann) disponiert.
Seine Spielfassung (mit Dramaturg Thomas
Potzger) - drastische Striche, zahlreiche naturalistische Ergänzungen - lüftet
gleichsam die klassische Räuberpistole und schärft den Blick für verborgene Wahrheit.
Der glänzendste Einfall: Wenn das Volk vor Fiescos Palast auftaucht und als
Zeichen der Solidarisierung das Tor geöffnet wird, fegt ein Windsturm herein
und alle stolzen Streiter des Hofes zu Boden. Weswegen man das Tor schnell
wieder schließt. Das Volk bleibt draußen vor.
Dies hier - meint Haußmann - ist eine
innere Angelegenheit der Kaste der Mächtigen, ob nun höfischer oder
republikanischer Partei. So nimmt denn eine egozentrische Salon-Rebellion einer
abgewirtschafteten High-life-Kamarilla ihren verdrießlich-traurigen Verlauf. Niemand
ist da, der die Republik, gar die Demokratie retten könnte.
Dem Fiesco sind Amouren wichtiger als
das Schicksal Genuas. Gerald Fiedler spielt den Titelhelden nicht auf Distanz,
durchaus einfühlsam, dennoch ständig klar wertend. Ein junger Graf von blindwütiger,
fast tierischer Leidenschaft, wenn es um Frauen geht,
unberechenbar im egoistischen Kalkül, gelegentlich mit illusionslosem Empfinden
fürs soziale Getriebe. Sein Kunst-Fanatismus ist wie eine Flucht aus dem
Alltag. Und plötzlich hat dieser chaotische labile Charakter eine gefährliche Neigung
für die Macht, entpuppt er sich als potentieller Tyrann. In einer groß
vorgeführten Szene verspeist er besitzergreifend die Stadtkarte von Genua,
übernimmt sich dabei, kotzt alles wieder aus.
Fiescos prominente Gegenspieler: ein
altersweiser, ständig hohnlachender Andreas Doria (Peter Rauch). Ein
hysterischer, geckenhafter Gianettino Doria (Dirk Nocker). Ein müde und
verbraucht wirkender Verrina (Detlef Heintze). Fiescos Informations-Dienst: Muley Hassan. Bei Stephan Baumecker ein kobolzender Hasardeur. Naiv beginnt der sein
Geschäft. Er haut der ersten besten weißen Maske den Kopf ab. Da es der falsche
war, wirft er ihn weg. Und schon stellt er der nächsten weißen Maske nach.
Von solch spielerisch wuchernder Art sind die
Regieeinfälle. Die rivalisierenden Weiber - Leonore (Steffi Kühnert), Fiescos
Gemahlin, und Julia (Elke Wieditz), Dorias Schwester - raufen sich mächtig auf
einem Steg. Aber sie stoßen sich nicht ins Wasser, nein, sie tunken nur ihre
Köpfe in die trübe Brühe. Szenisches Brimborium, das sich verwesentlichen
ließe, das der reifende Regisseur gewiß sparsamer handhaben wird. Was Haußmann auszeichnet,
sind schnelle Wechsel zwischen ins Komische getriebener Action und fast
verweilendem Disput, ist die letztlich fabeldienliche Beredsamkeit seiner
Eingebungen.
Außerdem im überzeugenden Spiel:
Martina Schumann (Berta), Katrin Schwingel (Asserato), Steffen Schult (Romano),
Christoph Heckel (Lomellin), Henning Orphal (Zenturione). Viel Beifall. Bravo-Rufe.
Neues Deutschland, 10. Oktober 1991