„Kalldewey,
Farce“ von Botho Strauß in der Studiobühne des Maxim Gorki Theaters Berlin,
Regie Marc Zurmühle
Spektakel
der Liebe
Der geneigte,
hoffentlich geduldige Zuschauer, der sich bis Punkt 20 Uhr vor verschlossener
Tür die Füße vertreten muß, darf in der Studiobühne des Maxim Gorki Theaters
Berlin am Rande eines überdimensionalen Schuhkartons Platz nehmen, dessen
Deckel nach oben hin geöffnet und dessen Inneres hell beleuchtet ist. Aufregend
schon der Blick in diesen ungewöhnlichen Spielraum (Bühne Hansjörg Härtung),
bevölkert mit Lynn, der Geigerin, und Hans, dem Flötisten. Motive aus »Orpheus
in der Unterwelt« von Offenbach erklingen und stimmen ein auf das manische Thema
des Botho Strauß: die scheinbar ewig gleiche, nämlich gestörte Beziehung zwischen
»Frau« und »Mann«.
Zwar hat der Dichter soeben am Zürcher Schauspielhaus so etwas wie einen Gegenentwurf vorgestellt, nämlich mit »Kuß des Vergessens« ein Stück, in dem der »menschliche Vierfuß« vorgeführt wird, das auf Erden »höchstentwickelte Lebewesen«, ein Paar, das trotz moderner, debiler Gesellschaft gelingendes menschliches Zusammenleben zelebriert; aber im Grunde seines Herzens glaubt Strauß nicht an solch wunderliches Märchen. Er bleibt der ästhetische Apologet des Scheiterns, bei ihm komprimiert im Unvermögen von »Frau« und »Mann«, eine währende, Konflikte überdauernde menschliche, gar eine Beziehung der Liebe einzugehen.
Gründe fürs
Nichtgelingen gibt es unzählige, von denen der Autor 1981 in seiner Farce
»Kalldewey« eine kunterbunte Mischung ausbreitete, zusammengestellt und gesehen
vor allem unter dem Aspekt, wie hochgradig grotesk, ja wahnsinnig absurd es
zwischen den Paaren hergehen kann. Und Regisseur Mark Zurmühle, am Ort schon
erfolgreich mit Tennessee Williams' »Glasmenagerie«, hat eine glückliche Hand
beim unbekümmert theatralen Fixieren des banal Widersprüchlichen Status quo
zwischen den Geschlechtern.
Zum Auftakt:
Trennung! Geigerin und Flötist verabschieden sich mit allen Beteuerungen von
Liebe. Der Mann verwickelt sich alsbald in den Haushalt, wird ein keifender
Sklave der Waschmaschine. Die Frau findet flüchtigen Trost bei zwei ordinären Emanzen,
den zerstrittenen Lesben Katrin und Meret. Mit ihnen heimsucht sie ihren Hans.
Bei der Gelegenheit vergewaltigt Katrin den Mann, dann wird er von den
rachsüchtigen Weibern zersägt und in der Waschmaschine entsorgt... Nun
begreift die Frau, wie sehr sie ihn liebt; weswegen er aufersteht und der Liebes-Zirkus
von vorn beginnt. Inzwischen sind die Lesben in therapeutischer Behandlung, wo
sich ihnen ein Unbekannter anschließt, Kalldewey, mit dem sie zu Lynns
Geburtstag erscheinen. Der mysteriöse Fremde, ein Experte obszöner Witze,
stößt sie ab, so lange er anwesend, sie finden ihn faszinierend, als er
verschwunden ist - ein Traummann, das unerreichbare Ideal.
Auch Frau und
Mann in Therapie! Schon faseln sie von »Harmonierekord«. Dann aber treten sie
sich in einer von Katrin moderierten Fernseh-Show als »Erzfeinde« gegenüber.
Später wird der Mann von seinem Chef in die Waschmaschine gezogen und bekommt
eine »Kopfwäsche«. Danach äußert er Skepsis über einen »gutmütigen
Sozialismus« und vermißt einen »geistigen Führer«.
Groteske
Vorgänge in Hülle und Fülle, »verzückte« Metaphern und Sendungen wie am
Fließband. Nebenbei erfährt man, daß die Frau sich dem Mann überlegen fühlte.
Zwischendurch treffen sie sich, als uraltes, runzeliges Paar - übrigens spielerisch
einer der schönsten Momente von Anna Steffens (Frau) und Harald Schrott (Mann).
Die vorzügliche Truppe, zu der noch Carolin Mylord (Katrin), Ursula Werner
(Meret) und Rainer Wöss (Kalldewey) gehören, agiert zwar manchmal gefährlich am
Rande des unsortierten Klamauks (man sitzt halt nahebei!), aber mit
darstellerischer Präzision meistern sie die halsbrecherischsten Parts.
Makabres
Vergnügen zwischen Trivialität und hochgestochenem Intellekt im supranaturalistischen
Theater des Botho Strauß. Wenn am Ende Lynn ihrem Hans erneut Liebe schwört,
kann nur starker Beifall davor bewahren, daß das Spektakel von vorn anhebt.
Neues
Deutschland, 13. Januar 1999