„Die Falle“ von Tadeusz Rozewicz am Maxim
Gorki Theater Berlin, Regie Rolf Winkelgrund
Tragisches Lebensbild eines einsamen Dichters
Eine graue Wand zieht sich von der Bühne bis in den Zuschauerraum hinein. Tief im Hintergrund droht eine dunkle Häuserfront. Dies die Grunddekoration Henning Schallers für Tadeusz Rozewiczs Schauspiel „Die Falle" in der DDR-Erstaufführung des Maxim Gorki Theaters Berlin.
Im dergestalt trostlos-kalten Spielraum
bewegt sich ein einsames Wesen — die Seele des Franz Kafka, leibhaft in Person
zwar, aber gleichsam immer offenliegend, scheu, feinfühlig, in ständiger Angst
vor dem übermächtigen Vater, in heftiger Zuneigung zu Frauen und in geradezu
inbrünstiger Ablehnung der Ehe.
Der polnische Dramatiker Rozewicz — bei uns bekannt
insbesondere durch sein Schauspiel „Weiße Ehe" - hat das Schicksal des
außergewöhnlichen, 1924 mit 41 Jahren verstorbenen Dichters aus der Sicht des
antifaschistischen Widerstandskämpfers kongenial ins Bild gesetzt, würdig und
zugleich kritisch. Da lebte ein Poet, der wie kaum ein anderer die Entfremdung
in der bürgerlichen Gesellschaft auf der Haut, im Herzen, mit allen Sinnen
spürte und sezierend zu beschreiben wußte, ohne die Ursachen zu ergründen. Ein
„literarischer Seismograph", der die Schrecknisse des Faschismus zwar
ahnungsvoll in phantastisch-beängstigenden Visionen vorausempfand, aber zur Abwehr
nicht fähig war.
Jörg Gudzuhn gibt den übersensiblen, an
Lungentuberkulose leidenden Franz. Er spielt präzis das menschlich Berührende,
das Beachtenswerte an dem Lebensuntüchtigen, mit gemessen-bedächtigen,
gelegentlich müden Bewegungen, mit sehnsüchtig in die Ferne gerichteten, weit
offenen Augen, mit denen er doch immer wieder nur sich selbst sieht.
Rozewicz konfrontiert Franz mit dem robusten,
letztlich freilich ebenfalls verletzlichen Vater. Ein Kaufmann, der im Alter, wirr
schon, immerhin praktische Vorkehrungen zu treffen sucht, um die herannahenden
schlimmen Zeiten mit der Familie überleben zu können. Hansjürgen Hürrig ist
dieser Vater — ein leidenschaftlicher Esser bei Tische, ein gestrenger Papa
gegenüber den Kindern, ein liebevoller, grüblerischer Gatte an der Seite des
abgehärmten, zarten Weibes (Monika Lennartz), ein Bündel verzweifeltes Elend am
Ende.
Den tragischen Tod der Schwestern Kafkas,
Valli, Elli und Ottla, die im KZ Theresienstadt ermordet wurden, assoziiert Rozewicz
mit einer beklemmenden Szene: Während Franz träumend mit sich beschäftigt ist,
verschleppen faschistische Häscher die Schwestern.
Rolf Winkelgrund, erfahren im Umgang mit dem
polnischen Dramatiker, führte einfühlsam Regie. Er hält insgesamt exzellent
Balance zwischen Tragischem und verhalten Komischem. Uwe Kockisch sei noch genannt, der den getreuen, nervösen Freund Max
Brod sehr überzeugend spielt, auch Anne-Else Paetzold (Felice) und Ursula
Werner (Grete).
Ein ungewöhnliches, ein bewegendes Stück. Der
Poesie ohnmächtigen Erduldens des Franz K. setzt Rozewicz die aufrüttelnde
Macht wissender Dichtkunst entgegen.
Neues Deutschland, 30. September 1985