„Die Eroberung des Südpols“ von Manfred Karge
in den Kammerspielen des DT Berlin, Regie Manfred Karge
Arbeitslos zum Südpol
Heimkehr nach Berlin? Ganz unspektakulär
stellte Manfred Karge sein Show-Spiel „Die Eroberung des Südpols" in den
Kammerspielen des Deutschen Theaters vor. Der Absolvent der Berliner Schauspielschule
1961, Schauspieler und Regisseur am Berliner Ensemble bis 1968, an der
Volksbühne bei Besson bis 1978, Regisseur in Hamburg und Bochum, griff als
Autor ein aktuelles bundesdeutsches Thema auf: Arbeitslosigkeit. Als Krankheit,
die Leute grillig macht.
Auf dem gruftigen Dachboden eines
Mietshauses (Bühnenbild: Robert Wendel) in Herne im Ruhrgebiet erfüllen sich
Arbeitslose eine Sehnsucht: Sie erobern den Südpol. Indem sie wie Kinder Amundsens
Reise nachspielen, versuchen sie, wenigstens in der Vorstellung Helden zu sein.
Slupianek (Marcus Staiger), der ehemalige
Bergarbeiter, stiftet Büscher (Uwe Steinbruch), Braukmann (Udo Kroschwald) und
Seiffert (Thomas Bading) an, ihren Kummer nicht im Alkohol zu ersäufen, sondern
sich mit Phantasie über die Langeweile des Alltags hinwegzusetzen.
Aber es gibt Schwierigkeiten. Mit Simone v. Zglinicki als Luise Braukmann kommt ihnen ein herziges Weibsbild in die Quere. Die Frau hat Waschtag und hängt Bettücher und Unterhosen zum Trocknen auf. Zwar haben sie nun sogar eine weiße Eislandschaft, aber keine Freude daran, denn die gewitzte Luise vertreibt die Herren und deren Affentheater. Indessen findet die vernachlässigte Frau an Slupianek Gefallen. Als Hausfreund wagt er sich zum Geburtstag der Schwangeren. Dort führen Rosi (Katrin Klein) und Rudi (Michael Schweighöfer), ein verspießertes und zudem zerstrittenes Ehepaar, protzig einen Film von ihrer Südpol-Ferienreise vor, so daß die mittellosen Phantasie-Reisenden ins neidische Staunen kommen. Trotzig machen sie weiter.
Doch die spielerische Flucht aus der
Realität hat ihr Ende. Ernüchterung zieht ein. Büscher sucht sein Lebensglück
in Kanada. Seiffert alpträumt vom Arbeitsamt. Braukmann ist stolzer Vater
seines Sohnes Kurt. Wie man sich an alles gewöhnen kann! Das Spektakel verflüchtigt
sich, wie es begonnen hatte. Aus der Dunkelheit tauchten Menschen auf, die an
Niederlagen gewöhnt sind, verschafften sich eine Illusion erfolgreichen Handelns
und treten zurück in die Anonymität.
Im übrigen findet eine Buttercreme-Torte das
passende Gesicht. Regisseur Karge macht präzis naives Schaubuden-Theater. Seine
clownesk skizzierten Figuren, oft sich selbst kommentierend, haben eine
unsentimentale Lebenshaltung und — scheint's — unverwüstlichen Humor. Das
ermöglicht ein locker-launiges Spiel mit tieferer Bedeutung, hier von Hermann Schmidt-Rahmer
perfekt mit „sound live" ironisiert.
Angekommen in Berlin? Die Zuschauer
goutierten's mit Respekt. Karges unbekümmert plebejische Handschrift wird
gebraucht.
Neues
Deutschland, 29. April 1991