„Er ging aus dem Haus“ von Tadeusz Rózewicz
im Leipziger Kellertheater, Regie Karl Georg Kayser
Groteske verhilft zu neuen Einsichten
Die Auseinandersetzung mit der Dramatik der
befreundeten sozialistischen Länder führt zu bemerkenswerten Theaterereignissen.
Jetzt ist im Leipziger Kellertheater die DDR-Erstaufführung der sogenannten
Komödie „Er ging aus dem Haus" des polnischen Dramatikers Tadeusz Rózewicz
zu sehen. Da wird auf skurrile theatralische Weise das gebrochene Innenleben
einer polnischen Familie vorgeführt. Es wird aufgeblättert, wie sie mit der
neuen Zeit nicht zurechtkommt. Gezeigt wird vor allem die bescheiden
emanzipierte, letztlich aber eben mannshungrige Ehefrau Eva und der unter ihrem
autoritären Regime leidende Ehemann Henryk. Dieser Henryk hat aber auch
Schwierigkeiten mit der Gesellschaft. Er erleidet einen ominösen Unfall. Auf
einer Bananenschale gleitet er aus und wird dabei so erheblich verletzt, daß er
— total in Mull gewickelt — zu Hause abgeliefert werden muß. Dort agitiert ihn
seine Frau unsanft ins Bewußtsein zurück. Als er nun — körperlich annähernd
wieder hergestellt — aus Ehrgeiz eine große Rede vorbereiten möchte, steigert
er sich grotesk geradewegs in den Schwachsinn. Er muß sich seiner eigenen Phrasen
erbrechen. Noch scheinen er und seine Familie wieder in Ordnung zu kommen, als
es nämlich ans Tomatensuppe-Essen geht und Henryk leutselig zu sich selbst findet.
Aber dann ist er plötzlich der leidigen sozialen Obliegenheiten überdrüssig,
kurzerhand verbindet er sich seinen Kopf total mit Mull... und geht aus dem Haus.
Solcherlei hintersinnigen Vorgängen ist mit
herkömmlicher Zuschauer-Gewohnheit schwerlich beizukommen. Absurdes Theater.
Doch wir entdecken: Hier ist's kein dekadentes Endspiel, hier ist's ein moralisierender
Auftakt: eine freche Herausforderung zum Nachdenken über familiäres
Zusammenleben, eine bravouröse Attacke auf kleinbürgerliche Verklemmungen in
unseren aufgeklärten Zeiten. Und insofern ist dieses Stück eine brauchbare Auflockerung
des Spielplans wie der Spielweise. Die Leipziger entledigen sich der
ungewohnten Aufgabe in der Regie von Karl Georg Kayser und im Bühnenraum von
Axel Pfefferkorn mit beachtlichem Geschick. Die Absurdität der Vorgänge wird
durch realistisches Spiel gekontert, so daß der Zuschauer eine nachvollziehende
Haltung einnehmen kann und Einsichten gewinnt.
Marylu Poolmann gibt die Eva mit leiser
Ironie, die weibliche Verstricktheit in die Sehnsucht nach dem Mann nicht
zurücknehmend und doch zugleich auch dem Spott preisgebend. Gert Gütschow als
Henryk ist deutlich das Opfer, nervig, zerstreut, arg zerzaust auf dem
Diplomatenball, nicht gewachsen den Ereignissen und Forderungen.
Junge
Welt, 11. März 1980