„Endspiel“ von Samuel Beckett am Berliner Ensemble, Regie Peter
Palitzsch
Auch das Dienen hat ein Ende
Eigentlich hatte es am Berliner Ensemble Samuel Becketts „Warten auf
Godot" geben sollen. Aber unvorhersehbare .Schwierigkeiten bei der Besetzung
- Eberhard Esche, der als Pozzo gedacht war, übernahm den Peachum am Deutschen Theater
- zwangen Regisseur Peter Palitzsch, umzudisponieren. Sein mutiger „Schnellschuß",
mit Volker Spengler und Hermann Beyer Becketts „Endspiel" zu bringen,
erwies sich als richtig. Die zwei Schauspieler stemmen den Abend. Und man
möchte sie in absehbarer Zeit nun auch als Estragon und Wladimier sehen.
Der philosophisch pointierte Einakter über das
endende Ende des Menschen lebt von den zwei Darstellern, die Hamm, den blinden
Herrn, und Clov, den ergebenen Diener, mimen. Die Problematik, die sie in diesem
Demonstrations-Spiel des Absurden zu erhellen haben, ist so überholt nicht.
Gemeint war 1957 antizipierend eine mögliche Situation nach einem Atomkrieg.
Zwar spricht es der Autor nicht aus, aber die Dialoge nähren diese Assoziation.
Ein Atomkrieg scheint derzeit zwar unwahrscheinlich, doch möglich wird er von
Jahr zu Jahr mehr. Zu viele Potentaten auf dieser Erde besitzen die entsetzliche
Waffe oder gieren nach ihr. Und daß selbst ein Atomkraftwerk ganzen Landstrichen
Verderben bringen kann, ist sattsam bekannt. Auch Umweltkatastrophen sind fast
programmiert. Mithin, das scheinbar Absurde ist realer, ist gegenwärtiger, als wir
wünschen.
Irgendwo am Meer, in einer bretternen Behausung, die Wände
blutbeschmiert (Bühnenbild Karl Kneidl), vegetieren vier Überlebende ihrem Tode
entgegen - denn da sind noch Nagg und Neu, die Eltern Hamms, als Rümpfe in Mülltonnen.
Peter Palitzsch, sein Mitregisseur Karl Kneidl und die Schauspieler verbreiten sinnigerweise
aber nicht Todessehnsucht, Menschheitsende und Katzenjammer, sondern
Lebenswitz, Aufbruch, Möglichkeit. Dies mit augenzwinkernd trockenem Humor.
Zugegeben, ich binde meine Sicht vornehmlich an Hermann Beyers
Interpretation des Dieners. Sein Clov ist nämlich ganz offenbar ein zähes
Luder. Zwar blickt er meist starr und erstorben in die Ferne und hat im
Verlaufe seines Dienens zunehmend Schwierigkeiten, alle seine Sinne beisammen
zu haben, aber er kämpft sich durch, erduldet die Penetranz seines blinden und beingelähmten
Herrn. Die Fürsorge, mit der er Nagg (Michael Gerber) und Nell (Christine Gloger)
in ihren Mülltonnen behandelt, erzählt viel über verschüttete, ramponierte und doch
nicht gänzlich abgestorbene menschliche Empfindungen. Wenn Clov sich denn aufrafft,
seine Filzlatschen gegen festes Schuhwerk tauscht und schließlich
aufbruchbereit in flotter modischer Kleidung als feiner Herr in der Tür steht, ist
das fast eine Idee zu forsch, zu optimistisch. Gebt dem Beyer einen zerbeulten
Panamahut, einen schmuddeligen Tweedrock, einen verschlissenen Regenmantel -
und es wird stimmen. Auch das Dienen hat ein Ende!
Grund gibt Volker Spenglers Hamm allenthalben, ihn zu verlassen und
draußen in der offenbar toten Welt irgendeine von Herren-Drangsalen freie Zukunft
zu suchen. Denn dieser Hamm im Habitus eines gewesenen und trotz Behinderung
putzmunteren Geldhais, der als Hobby Romane fabuliert, nun aber steif im
Rollstuhl residiert, möglichst immer genau im Mittelpunkt des Raumes, mit
Plüschhund und Bootshaken als Insignien der Macht - dieser Hamm hat eine arrogant
selbstverständliche, schlimm nervende Art, dem Diener immer wieder die nichtigsten
Verrichtungen abzuverlangen. Andererseits gibt Spengler den invaliden bulligen
Boß nicht seelenlos, sondern durchaus noch zu Gefühlen fähig. Wenn's um die
alten Fragen geht, lebt er fröhlich auf. Und wenn er den Vater ruft, kann er
zärtlich sein. Vielleicht trifft er den gelegentlich verlangten Erzählton nicht
überzeugend, aber als die nun schon plastische Kunstfigur kann er sich sehen
lassen.
Wie überhaupt diese locker spiellaunige Palitzsch-lnszenierung im BE des
Ansehens wert ist. Der herzliche Premierenbeifall bezeugt es.
Neues
Deutschland, 21. März 1995