„Die
Eingeborene“ von Franz Xaver Kroetz am Burgtheater Wien, Regie Achim Freyer
Die Allmacht der Männer
„Er, der
Mächtige, hat Großes an mir getan« - dies Zitat aus der Bibel (Lukas 1,49), als
Motto beigegeben, stellt Franz Xaver Kroetz in seinem neuen Volksdrama »Die
Eingeborene« ironisch hintersinnig in Frage. Der sozialkritische bayrische
Dramatiker schrieb ein tragikomisches »Stück für großes Kasperltheater« über
die nach wie vor fehlende Gleichstellung der Frau, wobei er die verbitterte
Anklage gegen die Passivität des »Mächtigen« und vorsichtiges Kokettieren mit
Idealen des demokratischen Sozialismus puppenfreundlich verfremdet.
Am Wiener
Akademietheater, dem Ableger der Burg, hatte man die Courage, das Spiel zur
Uraufführung zu bringen. Die werkgetreue, allerdings etwas betuliche
Inszenierung Achim Freyers war jetzt im Rahmen des Berliner Theatertreffens im
Schiller Theater zu sehen.
Der
renommierte Regisseur und Bühnenbildner akzentuiert den Moritaten-Charakter
der uralten, von Kroetz neu erzählten traurigen Geschichte vom »gefallenen
Mädchen«. Vor der Spielleiste werkeln Urs Hefti, Roman Kaminski und Hans Dieter
Knebel als Musiker, Sänger und Kommentatoren emsig Spaß machend herum, ohne
dem »grell und hellen, bunt und schnellen, kurz und guten Kasperlspiel«
(Kroetz) Pep geben zu können.
Die schön charakterisierenden, aber massiven Pappköpfe (zuständig Maria-Elena Amos: die Kasperl feixen, Gretel staunt) bremsen die Handlung. Sie müssen von den darunter steckenden Schauspielern gemäß bewegt werden. Und das geht nicht hurtig, wie eigentlich üblich im Kasperltheater, sondern nur verzögert. So zieht sich denn der Gretel widerspruchsvolles Schicksal, bis ins Intime höchst anschaulich demonstriert, gehörig in die Länge.
Das kerngesunde
Mädel, Irmi, die eingeborene Gretel, liebt den Umgang mit Männern. Sie tut's
für Geld, was natürliche Folgen hat. Auf einem öffentlichen Klo gebiert sie
ihr erstes Kind. Mit Torsten, wie sie ihren Sohn nennt, findet sie
Unterschlupf bei Onkel Kurt, dem alten, gerissenen Kasperl mit Kehlkopfkrebs. Sie
streiten sich, sie hauen sich, sie halten sich aus. Kurt stirbt. Nun liiert
sich Irmi mit dem Stricher Toni, dem jungen mageren aidskranken Kasperl. Sie
streiten sich, sie hauen sich, sie halten sich aus. Toni stirbt. Die
verzweifelte Irmi unternimmt einen letzten Versuch, irgendwie unter die Haube
zu kommen. Der Hobby-Imker Hugo, der arme dumme Kasperl mit Krebs im Darm und
Sozialismus im Kopf, nimmt sie auf. Sie streiten sich, sie hauen sich, sie
halten sich aus. Als sie schwanger ist, will Hugo das nicht. Sie verläßt ihn,
verkauft sich wieder, gebiert ihr zweites Baby als Dame ohne Unterleib in einer
Schaubude.
Die naive, bildhafte und wahrhaftige sprachliche Direktheit des
Franz Xaver ist in Zeiten perfider Vergewaltigung der Sprache ausgesprochen
wohltuend. Zumal mit Maria Happel (Irmi), Oliver Stern
(Kurt), Bernd Birkhahn (Toni) und Heinz Schubert (Hugo) Sprecher agieren, denen
gut zuzuhören ist. Was zunächst ein abgenutzter Theatereinfall scheint, ein
Ausweichen ins Jahrmarktgaudi, mausert
sich zu sozialkritisch deftiger Farce. Wenn schließlich sogar der heilige Geist
der Irmi sein erigiertes Glied präsentiert und sie bespringen möcht', ist über
die rücksichtslose Allmacht der Männer - so
“verpuppt“ sie daherkommt - wirklich alles erzählt.
Neues Deutschland, 17. Mai 1999