„Die Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht am Deutschen Theater Berlin,
Regie Alexander Lang
Schatten der Marktwirtschaft über dem Deutschen Theater. Als Immobilie
wurde es Gegenstand unwürdigen Schachers. Als Kunstinstitut ist es finanziellen
Zwängen unterworfen, die es in die Provinz treiben. Wie anders soll ich es
deuten, wenn Brechts „Dreigroschenoper" als eine Produktion für die Bregenzer
Festspiele mit einem einzigen Bühnenbild auskommen muß und mit Instrumentalisten,
die, bemühte Studenten vermutlich, Kurt Weills Musik „mugge"-mäßig
herunterspielen, ohne Sinn für die Bühne, nicht filigran und pointiert, sondern
breit und behäbig?
Derart läßt sich das klassische Musical nicht für die Gegenwart
behaupten. Schon gar nicht in der Hauptstadt. Ich will hier nicht mit
Vergleichen jonglieren, mit Wolf Kaiser als Macheath, Regine Lutz als Polly,
Norbert Christian als Peachum und mit dem Orchester des BE. Da war Präzision in
höchster Vollendung. Die Texte und Songs von ironischer Schärfe und dialektischem Witz. Die Musik äußerst differenziert und von
dynamischer Vitalität. Vorbei! Jede Zeit muß ihren Zugang neu suchen. Aber ist's
anzuraten, wenn die Mittel nicht reichen?
Volker Pfüller, der Bühnenbildner, hatte für
Peachums Bettlergarderoben, den Pferdestall, das Hurenhaus in Turnbridge und
das Gefängnis in Old Bailey einen Spielraum zu erfinden. Er baute einen düsteren,
engen Gewölbegang, nach oben romanisch rundbogig, mit Blick auf einen Obelisken
in der Tiefe und Treppen und Nischen an der Seite. London war da nur mit Nebel
herzustellen, der anfangs wallte, als Raimar Joh. Baur die Moritat von Mackie
Messer bot. Daß Peachum dann seine Bettler-Geschäfte und den Zoff mit Tochter Polly
auf der Gasse abwickelte, daß überhaupt alle Handlung gleichsam entwurzelt war,
befremdete.
Regisseur Alexander Lang hat keinen konkreten Spielort, verfällt prompt
in konventionelles Theatern, wie ich es von ihm nicht kenne. Er schafft es einfach
nicht, die Begebenheiten elegant und überlegen hinzufetzen. Das war ja wohl
eine der faszinierenden Leistungen von Brecht und Weill, daß sie 1928 dem
bourgeoisen Publikum ihre Wahrheiten mit Nonchalance an den Latz knallten. Diese
Herrschaften haben mittlerweile noch bessere Nehmerqualitäten. Sie verdauen Sentenzen
wie „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?"
ohne jedes Bauchgrimmen. Mithin: Heutzutage sollte man vor allem klarmachen,
daß man keinerlei Illusionen hat. Lang ist immerhin angriffslustig. Für ihn ist
dem Theater der „Feind" nicht abhanden gekommen. Aber er kämpft, wie mir
scheint, grimmig und ziemlich verloren an der Agit-Front, statt wohlgerüstet
auf dem Feld theatraler Ehre, dem artifizieller Perfektion. Nicht die scharfe
Klinge dialektisch-kritischer Verfremdung führt er, sondern den stumpfen Degen
genügsamer Identifikation.
Mit einer um Konzentration bemühten Bearbeitung stellt er den ersten
Satz Peachums prononciert an die Rampe: „Es muß etwas Neues geschehen." Hätte,
wenn so konzipiert, Peachum, dieser windige, eiskalte, durchaus zeitaktuelle Geschäftsmann,
das Rennen dann nicht auch szenisch machen müssen? Horst Hiemer aber ist
angehalten, einen poltrigen, meist brüllenden, leider sehr einförmigen
Bettlerkönig zu geben. Dessen eigentliche Gefährlichkeit leuchtet kurz auf,
wenn er Brown, dem Londoner Polizeichef, mit seiner Demo der Armen droht. Ansonsten
ist dieser Peachum tumb und borniert.
Jörg Gudzuhns Macheath hat etwas Biederes, das dieser Figur gar nicht
gut tut, nämlich dem Haifisch die Zähne zieht. Statt ständig am Ball zu sein, einfach
jegliche Situation blendend zu beherrschen, steht er herum, posiert er. Seine
Texte scheint er zu predigen. Wenn er in die Klemme kommt, flennt er. Beim
Kanonen-Song mit Brown, vital, aggressiv zwar, fehlt die Distanzierung. Format
hat er, wenn er den Damen und Herren seine Meinung sagt. Johanna Schalls Polly
ist wohlstandsbürgerlich brav, zu wenig raffiniertes Luder. Die Frau Peachum
der Gudrun Ritter - gesanglich schwach - hat einen sozialen Impetus, der
überzeugt. Und Otto Mellies als Tiger-Brown, ständig irgendwie auf dem Sprung,
ist von wendig-scheinheiliger Unverfrorenheit.
Die berühmten Songs - vielleicht habe ich sie in ihrer eigentlichen
geistigen Stoßkraft zu deutlich im Ohr - werden zwar geliefert, sind aber von erstaunlicher
Unverbindlichkeit. Das Eifersuchtsduett beispielsweise ist nicht realisiert als
wilder Streit zwischen Polly und Lucy (Katrin Klein), sondern wird gezeigt als
Opus zweier Dämchen, die am Gitter des Kerkers hängen und mit den Beinen
strampeln. Fehlstart in die Saison 1995/96.
Neues
Deutschland, 21. August 1995