„Dreigroschenoper“ von Brecht/Weill am
Berliner Ensemble, Regie Manfred Wekwerth und Konrad Zschiedrich
Tiger-Brown nebst Tochter spielten Mackie Messer aus
Brecht/Weills „Dreigroschenoper", die
Brecht ein Repertoirestück nannte, ist wieder auf dem Spielplan des Berliner
Ensembles. Es hat ohne Zweifel nichts eingebüßt von seiner frischen, gnadenlosen
Attackierfreudigkeit auf bürgerliche Ideologie und bürgerliche Verhältnisse.
Wenngleich mir scheint, wir sollten ein wenig flexibler, gewandter mit dem
Stück umgehen, wir sollten die Attacken mit souveräner Ironie vortragen. Die
Regisseure Manfred Wekwerth und Konrad Zschiedrich, Chefs eines Regiekollektivs,
konnten oder wollten sich dazu nicht entschließen. Schon die Besetzung des
Mackie Messer mit Ekkehard Schall ist da ein Programm. Schall nimmt Brechts Hinweise
sehr genau.
Er gibt den Räuber
Macheath wirklich ganz als bürgerliche Erscheinung, mit gewisser Romantik,
weniger als den schönen, weit mehr als den gutsituierten Mann, durchaus gesetzt
und als einen, der überhaupt keinen Humor hat. Aber schließlich ist dieser Macheath
nicht nur eine bürgerliche Erscheinung, sondern auch eine des Theaters. Und der
bleibt Schall so gut wie alles schuldig. Er verschleppt die Sätze, nimmt damit
der Figur die zupackende Unmittelbarkeit, bleibt ohne Faszination und in den
Songs weite Strecken einfach unverständlich. War er indisponiert?
In dieser Aufführung ist
das komödiantisch-theatralische Zentrum lahmgelegt. So rückt Peachum, der
Bettlerkönig, stärker in die Aufmerksamkeit. Peachum wird von Arno Wyzniewski
gleichsam als Inkarnation des Pessimismus gefaßt, mit verbissener
Bärbeißigkeit, als einer, ider der wahre Herrscher ist in der bürgerlichen Gesellschaft. Seine Tochter Polly spielt Franziska Troegner
mit lockerer Direktheit. Da ist eine helle, klare, naive junge Seele,
die sich trotzig zu ihrer Liebe bekennt und den Eltern davonläuft. Hell, klar,
differenziert und wandlungsfähig ist die Troegner auch in den Songs. Vielleicht fehlt ihr als Chefin der Bettlerbande etwas ruppige Härte, etwas vom Gestus der neuen sozialen Stellung. Herrlich, mit viel Beifall bedacht, ihr Eifersuchts-Duett mit Lucy, Tiger-Browns
Tochter. Carmen-Maja Antoni (Lucy) macht das mit hinreißend spitzer
Schnoddrigkeit, das sitzt, das trifft das Temperament des Stückes.
Auch Peter Bause als Tiger-Brown, oberster
Polizeichef von London, hat die Figur gut gepackt. Er findet eine schöne
schrullig-zerstreute Ironie, den bissigen Galgenhumor eines geplagten
Polizeichefs, der mit den Verbrechern paktiert. Und Renate Richter gibt die
Süffeline Celia Peachum mit Humor und gewitzter Spiellaune. In weiteren Rollen Christine
Gloger (Spelunken-Jenny), Stefan Lisewski (Moritatensänger), Hans-Peter
Reinecke (Münz-Matthias), Michael Gerber (Hakenfinger-Jakob), Peter Hladik
(Kimball) und Martin Seifert (Filch). Es gab wieder einen Brecht-Vorhang. Wir
brauchen auch wieder Brechts Theater-Leidenschaft.
Junge
Welt, 6. Oktober 1981