„Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert am
Bayerischen Staatsschauspiel München, Regie Andreas Kriegenburg
Die Verantwortung zurückgeben?
Jüngst wurde in München eine Ausstellung über
Kriegsverbrechen der deutschen Wehrmacht höchst offiziell diffamiert. Wer
sich's bewußt macht, wird Andreas Kriegenburgs Inszenierung des Schauspiels
»Draußen vor der Tür« von Wolfgang Borchert (1921-1947) Anerkennung zollen. Der
junge Regisseur - in Berlin an der Volksbühne ein wenig im Schatten von Frank
Castorf - nimmt am Bayerischen Staatsschauspiel des Autors noch immer brennende
Frage nach der Schuld deutschen Militärs unmittelbar und unüberhörbar auf.
Unteroffizier Beckmann, 1947 aus russischer
Kriegsgefangenschaft nach Deutschland zurückgekehrt, sieht sich von der Frau
verlassen, hat die Eltern verloren, kampiert einsam in Hamburg.
Todessehnsüchtig geht er in die Elbe, aber der Strom wehrt ihn ab. Von einem
»Anderen«, dem ewigen Ja-Sager, bedrängt, glaubt er, bedrückende »Verantwortung«
an den Oberst zurückgeben zu können, auf dessen Befehl ein ihm untergebener
Soldat sein Bein verlor. Aber der Oberst, längst konform mit der neuen Zeit,
lacht ihn aus.
Nun hadert Beckmann mit Gott, wirft ihm vor, den Tod
seines Sohnes im Bombenkrieg nicht verhindert zu haben. Bei Kriegenburg kontert
der »liebe Gott« (Lara Körte) mit der Frage: »Wo warst du denn, deutscher
Soldat, bei der Erschießung der Juden im Warschauer Ghetto, in Lodz, in
Majdanek?« Und noch ein zweites Mal läßt der Regisseur sehr direkt, vorn an der
Rampe die Zuschauer ansprechend, auf das Gedächtnis eines Volkes anspielen, das
einen Krieg vom Zaun gebrochen und verloren hat und eben dies nur zu gern
verdrängen möchte.
Unbequeme Wahrheiten inmitten der zwischen Symbolik und
Realistik, zwischen Traum und Wirklichkeit angesiedelten Leidens-Geschichte des
Unteroffiziers Beckmann. Von einem Autor, der sich auskannte, der am deutschen
Schicksal litt und schon 1946/47 spürte, daß sein Widerstand gegen den
Faschismus nicht ausgereicht hatte. Das Stück - von den einen pubertär genannt,
von anderen letzter Ausklang des Expressionismus -braucht theatralische Phantasie.
Kriegenburg investierte viel. Zugleich - scheint mir - taktierte er. Um mit Borcherts
Kabarettdirektor zu argumentieren: Der Regisseur zögerte, dem Münchner Publikum
Schwarzbrot zu servieren, weil es Biskuit verlangt.
Zwar gibt es - wie oben notiert - brisante verbale
Anspielungen, aber das Stück ist aus der kruden Nachkriegs-Wirklichkeit genommen
und mittels des Bühnenbildes (zuständig Susanne Schuboth) in eine künstliche
Arena gestellt. Deutschland kein »Trümmerfeld«, kein »Schuttacker«, sondern
ewig intakter Spielraum für wenige Verdränger der Geschichte, für clevere
Macher? Und, wie eh und je, die ungeschickt Redlichen, die Armen, vor der Tür?
Ich fürchte, solche Assoziationen stellen sich nicht her, überfordern das Stück.
Denn zu sehen sind ganz prosaisch zehn hohe hölzerne, völlig unversehrte Türen
einer Art nüchternen Hotelhalle, im Halbrund auf die Drehbühne montiert. Die
Dekoration bedient die Mentalität des Textes nicht und nimmt den Figuren ihr
Milieu.
Kriegenburg ließ sich darauf ein, nicht die Wirklichkeit
suchend, sondern das Symbol. Überdrehte, auch zerdehnte, oft unschlüssige
Metaphern-Theatralik. Mit illustrierender Figurengestikulation gibt er den
Vorgängen kabarettistische Züge und verharmlost sie. Am auffälligsten beim
Oberst (Alfred Kleinheinz). In dem Mann braucht sich kein ehemaliger Offizier
wiederzuerkennen. Da höhnt nicht etwa ein preußisch straffer, längst entnazifizierter
Unverbesserlicher, da wuselt ein lächerlicher Angeber, der aus dem Komödien-Stadl
ausgeliehen scheint. Ähnlich der Kabarettdirektor (Peter Albers). Ein zeitloser
Phraseur jongliert läppisch mit »der Wahrheit«. Das geht nicht unter die Haut,
das ist nur ärgerlich.
Ich beklage den Verlust an Leben bei einem Regisseur, der
einmal fähig war, Figuren präzis zu charakterisieren. Immerhin: Hinter der
Drollerie der Frau Kramer (Judith Hofmann) ist die flotte deutsche Ami-Hure
auszumachen. Und bei Timo Dierkes als Beckmann - zwar kein ausgezehrter
Heimkehrer, eher ein gut gefütterter Baal - ist ständig existentielle Not im
Spiel. Sein Auftritt bei der Job-Suche, als verzweifelter Trommler, hat die
Dimension anrührender Beklemmung, die das Stück eigentlich prägt.
Trotz Schwächen - hoffe ich - teilt sich mit:
Verantwortung läßt sich nicht zurückgeben. Weder damals, noch heute. Beifall
beim Gastspiel zum Theatertreffen. Buh-Rufe auch.
Neues
Deutschland, 13. Mai 1997