„Der Drang“ von Franz Xaver Kroetz an den Münchner Kammerspielen, Regie Franz
Xaver Kroetz
Hilde lässt Otto...
Die Schauspieler sprechen gut betont ihre Texte und spielen dazu. Auf
dem hohen Niveau der Münchner Kammerspiele. Angerichtet hat den Abend Autor
Franz Xaver Kroetz, der sein Stück
„Lieber Fritz" aus dem Jahre 1975 konjunkturgerecht bearbeitete und unter dem
Titel „Der Drang" als Regisseur uraufführte. In Berlin jetzt zu Gast im
Rahmen des Theatertreffens.
Kroetz macht den sexbeflissenen Fernsehstationen ernsthaft Konkurrenz. Das muß das Theater in dieser unserer geschlechtsintensiven Zeit! Nichts ist so wichtig wie die Frage, ob die Frau im Ehebett den nackten Hintern hinhält, damit ihr Mann so recht loslegen und sich sexuell ausleben kann. Franz Xaver geht der Frage in all ihren komplizierten Einzelheiten nach und macht ein aufklärerisches Volksstück daraus.
Freilich läppert sich die Antwort über viele Szenen hin, jeweils
verbunden durch die Mittenwalder Maultrommler, die per Lautsprecher x-mal die Brummeisen-Polka
dudeln. Das geht ob seiner horrenden Einfallslosigkeit arg auf die Nerven.
Geschenkt! Als Regisseur kennt der Franz Xaver natürlich sein Stück. Man
erfährt gewissermaßen authentisch, wie's gemeint ist. Nämlich einfach nett
volksstückig. Ich zweifle nicht einen Moment, daß die Leut' - nicht nur in Bayern
- halt so primitiv sind, wie sie Kroetz konterfeit. Im Grunde ein kläglicher
Naturalismus.
Hilde und Otto, friedfertige und zufriedene Besitzer einer Friedhofs-Gärtnerei,
nehmen Fritz bei sich auf, den Bruder Hildes. Der kommt aus dem Knast. Er saß
ein, weil er seine Männlichkeit zu öffentlich vorgeführt hatte. Jetzt ist er
per Medikament ruhiggestellt. Aber er bringt Unruhe ins Haus. Otto, der bei
seiner Frau, wie er glaubt, sexuell nicht findet, was er braucht, erregt sich an
dem „Phänomen" Fritz. Denn für den Fritz interessiert sich Mitzi, das
Aschenputtel der Gärtnerei, eine unbefriedigte alleinstehende Frau, auf die
Otto offenbar schon lange ein Auge geworfen hat. Liebeshungrig fällt sie über
Fritzen her. Doch der läßt sie abblitzen. Nicht so Otto! Nach einem
Biergarten-Besäufnis, bei dem die Männer ihr Geschlecht demonstrieren, nimmt er
sich die willige Mitzi. Große Liebe!
Mit den üblichen Folgen. Ehefrau Hilde ist eifersüchtig. Fast mordet sie
die störrisch an ihrem Geliebten festhaltende Mitzi. Dann fügt sie sich willig
ihrem Manne. Wie es sich noch immer gehört in gutbürgerlicher Ehe. Man weiß es.
Weiß es wieder. Hilde also läßt Otto im Bett gewähren. Fritz wird per Motorrad
davongeschickt. Mitzi geht leer aus. Die kleine Welt des Gärtner-Ehepaares ist wieder
in Ordnung.
Die drollig-komischen Texte, die Kroetz treuherzig-biederen Menschen in
den Mund zu legen versteht, sind natürlich ein Fressen für die Schauspieler. Franziska
Waiser (Hilde), Sibylle Canonica (Mitzi), Edgar Selge (Otto) und Horst Kotterba
(Fritz) haben da keine Mühe. Erlebbar wird unerschütterliche menschliche
Armseligkeit. Jedoch, scheint mir, das spießige Leben in altbündiger deutscher
Provinz karikiert der Autor Kroetz sarkastischer, als der Regisseur Kroetz es
über die Rampe zu bringen vermag.
Neues
Deutschland, 19. Mai 1995