„Don Juan“ von Molière am Maxim Gorki Theater Berlin, Regie Katharina
Thalbach
Ungetrübte Freude mit einem Galan
Während Diener Sganarelle im Berliner Maxim Gorki Theater aus dem
Untergrund aufsteigt, schwebt Don Juan
aus himmlischen Sphären ins romantisierende Bild. Sofort ist klar: Hier
wird verspielte Commedia geboten. Als die Französin Mnouchkine (siehe Gastspiel des Théâtre du Soleil September '96) Molières »Tartuffe« in Algerien ansiedelte und den frommen Heuchler als gefährlichen Vertreter des islamischen
Fundamentalismus aktualisierte, zeigte sie überzeugend, wie mit einem klassischen Werk brisant zeitnahes Theater
gemacht werden kann. Derlei profunde Absicht bewegte Katharina Thalbach nicht,
als sie jetzt Molières »Don Juan oder Der steinerne Gast« in ihres Vaters und Heiner Müllers deutscher Bearbeitung
inszenierte. Ohne ins Auge fallende aufklärerische Ambition offeriert
sie solide Unterhaltung: Allerdings und immerhin
mit leicht aktuellem Effet.
Die Regisseurin führt Don Juan primär als missratenen Sohn vor, sekundär als aristokratischen Liebesschurken und nebenher
als Heuchler, Mörder und Verschwender. Wobei eine Spieluhr – von Momme Röhrbein anmutig ins Bühnenbild integriert - nicht nur ferne maurische Zeiten
beschwört, sondern auch gegenwärtige. Zwar schmeichelt und lügt ein hübscher,
gewissenlos lebender »andalusischer Galan«
in »exotisch-sizilianischem Dekor«,
aber sein Verhalten scheint einem vertraut. Wie glänzend doch bewährt
sich Heuchelei just heutzutage als
nützliche Fassade. Die Don Juans, reicher und skrupelloser denn je, sind mitten unter uns. Und die Thalbach treibt ihren Spaß damit.
Wobei pfleglicher Umgang den Typ natürlich aufwertet. Man scheint angehalten, sich mit ihm abzufinden. Diesem dem Genussleben frönenden mörderischen Egoisten
ist Einhalt nicht zu bieten. Ihn kann man zwar mittels Theatermaschinerie aus
dem Bühnenleben räumen, aber im wahren
Leben triumphiert er damals wie heute. Hergezeigt wird nicht ein reifer Verführer der Frauen, ein früher Voltairianer gar, der mit seinem Verhalten auch gegen herrschende Konvention
rebelliert, sondern ein junger, arroganter Kavalier der Hofgesellschaft, der hemmungslos seiner körperlichen Leidenschaft
lebt (und hinter den Kulissen mit Donna Elviras Bruder Don Carlos auch mal schnell einen Quicky unter Männern schiebt).
Dieser
auf Kosten des Vaters und seiner Untergebenen ausschweifende Snob wird nicht kritisch in die Mangel genommen,
sondern einfühlerisch in die Sympathie befördert. Was vorzüglich funktioniert. Die juchzenden Jungmädchen im Parkett
scheinen bereit, auf die Bühne zu springen, um sich vernaschen zu lassen. Angst
vor irgendeinem steinernen Gast und höllischem Feuer hat eh niemand mehr. Ungetrübte Freude über Don Juans
erotische Abenteuerlust also. Mit Michael Maertens ist im übrigen ein
Schauspieler besetzt, der den eigentlich fühllosen, aber sinnenhungrigen
Frevler in allgemeinen theatralen Zügen ohne Mühe
hinstellt. Seine spröde Stimme, weder
anmutig weich noch einschmeichelnd warmherzig, gibt seinen Reden beiläufige Selbstironie.
Stets ist die
kundige Hand der Regie-Schauspielerin spürbar. Die Situationen werden
ausgespielt, nicht überspielt. Charlotte,
das Bauernmädchen (Susanne Böwe), schleckert schon genüßlich die Küsse,
die sie dem feinen Herrn abverlangen wird,
so er sie erst einmal geheiratet hat. Händler Dimanche (Dietmar Obst) kämpft kauzig-komisch einen verzweifelt
aussichtslosen Kampf, sein Geld von Don Juan zu bekommen. Vater Don Luis (Hilmar Baumann), barsch zunächst, umhätschelt
den scheinbar reumütigen Sohn. Donna Elvira
(Franca Kastein) setzt herbe
Fraulichkeit ein.
Und Sganarelle? Der schleppt, offenbar auf Bequemlichkeit
bedacht, einen Ministuhl durchs Stück und ist bei Till Weinheimer ein
überzeugt gottesfürchtiger Plebejer. Gar nicht ungehobelt, eher recht bauernschlau und durchaus eine Lippe riskierend mogelt er sich durch die Konflikte
seines Herrn. Wenn er am Schluß vergeblich seinen Lohn einklagt, sieht man freilich einmal mehr, wohin ständige Anpassung führen kann.
Vergnügter Beifall, Buh-Rufe auch.
Neues Deutschland,
9./10. Oktober 1996