„Don Juan kommt aus dem Krieg“ von Ödön von Horváth an den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin, Regie Michael Gruner

 

 

 

Der große Verführer degradiert zum deutschen Spießer

 

Die Bühne der Kammerspiele des Deutschen Theaters in Berlin ist zurechtgemacht als schwarzer Kasten (Ausstattung Peter Schulz). Tief im Hintergrund, matt beleuchtet, ist ein Gemach zu sichten mit Spiegel und Zimmerpalme. Dort versammeln sich die Aktricen des Hauses noch vor Spielbeginn zu Ödön von Horváths Schauspiel „Don Juan kommt aus dem Krieg". Fast scheint es, als träfen sie eine Salon-Verschwörung gegen den einzelnen Herrn. Doch Don Juan als Krieger?

Der klassische Don Juan, dieser trotzige Auflehner gegen Gott und verkrustete gesellschaftliche Konvention, wäre schwerlich als Soldat in die Schützengräben des Ersten Weltkrieges gezogen. Er hätte auf hirnrissige Befehle kriegslüsterner Generäle glattweg gepfiffen. Mithin: Mag nun Tirso de Molina, Molière, da Ponte/Mozart, Lenau oder der Juan-Film mit John Barrymore den Autor zu seiner Szenenfolge angeregt haben, die geistige Dimension der Gestalt verfehlte er. Er degradierte Don Juan nicht nur zum deutschen Landser, auch zum deutschen Spießer.

Nachkriegssituation. Die Revolution zerschlagen. Inflation. Don Juan hat eine Verwundung überstanden, kommt heil zurück ins Vaterland. Und er bereut. Aber nicht etwa, seinen Kopf für Kriegsgewinnler hingehalten zu haben. Nein, da ist er spießig national. Er bereut lediglich, seine Braut sitzen gelassen zu haben. Nun endlich will er alles wieder gutmachen. Insofern betrieb Horváth 1935, als sein Stück entstand, letztlich keine völkisch-nationale Heroisierung des Deutschen, sondern gewissermaßen dessen Humanisierung. Allerdings auf Kosten der Frauen. Sie sind, bis auf eine Ausnahme, allesamt scharf auf Don Juan und sonst gar nichts. Horváths reuiger Juan nämlich, als er seine Braut nicht auf Anhieb wiederfindet und eine Grippe im Krankenhaus übersteht, mobilisiert neuerlich seine Schwäche fürs schöne Geschlecht. Weil er doch in jeder Frau, die ihm begegnet, ob jung oder alt, seine ehemalige Braut zu erkennen glaubt. Aber, Lapsus des Autors, die Titelgestalt, angeblich „der großer Verführer", gerät ihm bar jeder Aktivität. Da ist ein Mann, dessen Faszination die Weiber fortwährend unterliegen, von dem aber realiter keinerlei erotisch-sinnliche Werbung ausgeht. Einfach seine Erscheinung läßt die Frauenherzen schmelzen. Ein Einfall, vielleicht. Aber eher romanhaft, denn dramatisch.

Doch das Stück, 1952 in Wien uraufgeführt, sollte nun einmal, aus sich nicht erhellendem Grunde, auch in Berlin gezeigt werden. Fast glaube ich zu verstehen, warum Regisseur Michael Gruner das leicht metaphysische Geschehen in ein finsteres Loch steckte. Er hob die agierenden Figuren per Scheinwerfer zwar plastisch aus der Düsternis, aber er rückte sie nicht näher. Er hat eine aktuelle Lesart nicht gefunden. Und seinem Hauptdarsteller, dem Peter Simonischek von der Schaubühne am Lehniner Platz, wußte er nicht zu raten. Dieser körperlich große, gefühlige Schauspieler gibt so etwas wie einen phlegmatischen Urvater. Recht eigentlich schreitet er durch die anhaltende Dunkelheit wie ein Kriminalkommissar aus einer abgewirtschafteten TV-Serie, der vergeblich Don Juans verloren gegangenes Charisma recherchiert. Kein gewinnender Charme, allenfalls sentimentale Umgänglichkeit. Gut immerhin, daß da kein strammer Preuße balzt. Ein Lichtblick die Frauen. Nicht gefügig ungefähr, sondern gestisch konkret, differenziert charakterisierend. Inge Keller als aristokratische Großmutter der längst verstorbenen Braut, autoritär, hämisch, unversöhnlich. Christine Schorn als Professoren-Witwe, pingelige Erzieherin ihrer erwachsenen Töchter (Katrin Klein und Christina Große). Ulrike Krumbiegel als hingebungsvoll sich verliebende Kunstgewerblerin. Barbara Schnitzler als ihre eifersüchtige Gespielin. Katrin Klein als schnippische Kellnerin. Johanna Schall als mondäne Dame. Und Simone von Zglinicki als aufmüpfige Magd.

Don Juan findet seine Braut nur noch auf dem Friedhof. Wo ihn der Autor in tapferer Selbstverleugnung am Grabe der Braut einfrieren läßt zum Schneemann. Solch profaner Schluß genügte Herrn Gruner nicht. Sein Don Juan muß sich ausziehen zum Sterben. Und die Magd, geil auch dieses Weib, besteigt den nackten Leichnam. Kunst und Kitsch in den Kammerspielen.

 

 

Neues Deutschland, 18. Januar 1993