“Top Dogs” von Urs Widmer am Theater Neumarkt Zürich, Regie Volker Hesse

 

 

 

Viel leere Zeit plötzlich

 

Manager in Not. Viel »leere Zeit« plötzlich. Aus heiterem Unternehmens-Himmel in die Arbeitslosigkeit entlassen. Auf die Straße. Wo schon Millionen stehen. Was gar nicht weiter auffallt. Allerdings mit der Chance, in noblem Crash-Kurs psychisch wieder aufgerichtet zu werden. Wie das zugehen könnte, führt das Ensemble des Theater Neumarkt aus Zürich vor. Eingeladen jetzt zum 34. Berliner Theatertreffen.

Unter der Leitung von Volker Hesse (vor zwei Jahren schon mit »InSekten« in Berlin) haben sich Züricher Schauspieler über Recherchen und Improvisationen an das auch in der Schweiz aktuelle Thema »Arbeitslosigkeit« herangespielt. Und zwar nicht beobachtet am Schicksal der kleinen Leute, sondern an dem der »Top Dogs«, der selbstbewußt Überlegenen, der cleveren Herren, der gefürchteten Topmanager. Auch die nämlich - was man so gewiß noch nicht wußte - sind sterblich auf dem Arbeitsmarkt. Wie etwa Herr Deer, Chef vom Catering der Swissair, der, reichlich nervös zwar, doch geschäftstüchtig cool noch immer einfach nicht kapieren will, daß er gefeuert ist.

Die Psychodramen der Damen und Herren hat Urs Widmer aufgeschrieben und Volker Hesse auf der Bühne arrangiert. Und zwar zwischen sechs kleinen, auf Rädern montierten Zuschauertribünen für je 24 Personen, die von athletischen Herren mühevoll hin und her geschoben werden, Spielräume bietend für offizielle Statements oder privateste Bekenntnisse. Jedenfalls genießt man stets einen veritablen Draufblick aufs Elend der gewesenen Mächtigen.

Nachdem die Damen Julika Jenkins und Susanne-Marie Wrage sowie die Herren Urs Bihler, Dodó Deér, E. Heinrich Krause, Joachim Bliese, Michael Neuenschwander und Gilles Tschudi (die Schauspieler stehen mit ihren Namen für die Figuren) in gruppentherapeutischen Sitzungen des Beratungsunternehmens zwecks »Schockabfederung« und »Enttäuschungsverarbeitung« ihren Frust gehörig ausgekotzt haben, werden sie in einem Überlebenstraining für neue, möglicherweise härtere Aufgaben »reanimiert«. Sie werden nachhaltiger denn zuvor zu »positivem Denken« erzogen und lernen, wie man im asiatischen Nahkampf den Gegner erledigt.

Alle systemtreue geistige Manipulierung kann freilich nicht verhindern, daß eine »freigesetzte« Spitzenkraft von individuellem Terror träumt. Der geschaßte Manager möchte mit seinem ehemaligen Chef eine Bergwanderung unternehmen, um ihn in die Tiefe stoßen zu können... Und sie alle träumen von einer Zeit, die kommen muß, in der der Mensch Mensch sein kann und der eine des anderen Bruder. Soziale Utopien bei der Elite des Brutalo-Kapitalismus.

Vorerst geht es schön konform zu: Frau Wrage, die gerade noch junge Managerin, bekommt einen Job in Südkorea, wo Nestle sich zukunftsgewiß an der Grenze zu Nordkorea einen Firmen-Ableger einrichtet. Die hochmotivierte Kraft darf dort im fernen Asien, was nicht ihr Lebensziel war, die Koordinierung zum Stammsitz übernehmen. Die anderen Kursteilnehmer indessen warten weiter geduldig, trinken Cappuccino, knabbern Gipfeli und pflegen weiter ein pervertiertes Prinzip Hoffnung.

Keine Schauspielkunst, von der zu schwärmen wäre. Auch kein politisches Theater, das wirklich erregt. Eher beklemmend eine Art psychologische Aussöhnung mit scheinbar Unabänderbarem. Aber immerhin theatrales Gespür für zeitgeistige Brisanz. Lang anhaltender Beifall.

 

 

 

Neues Deutschland, 12. Mai 1997