„Der Diener zweier Herren“ von Goldoni am Schlosspark-Theater Berlin,
Regie Franz Matter
Publikum im Sturm erobert
Betagte Berliner erinnern sich gern an Rolf Ludwigs famosen Truffaldino 1955 an der Volksbühne (Regie Otto Tausig). Ein wahrer Tausendsassa fegte über die Bühne, bewältigte den doppelten Job im Dienste zweier Herren mit Furore. Fröhliche Ausgelassenheit. Ganz anders Dieter Mann 1991 am Deutschen Theater (Regie Niels-Peter Rudolph). Ein unrasierter Truffaldino in abgewetztem Straßenanzug, ein Pendler zwischen zwei Herren wie zwischen Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit. Kaum Gelegenheit zu befreiendem Lachen, Grund eher zu Nachdenklichkeit.
Jetzt am Schloßpark-Theater Berlin wieder ein »Diener
zweier Herren« von Carlo Goldoni (1707-1793). Nicht in aktualisierender Lesart,
sondern sich fidel zur Commedia dell'arte bekennend und mit einem Truffaldino,
der das Publikum im Sturm erobert. Marcello de Nardo ist für Berlin kein
Unbekannter. Ich sah ihn 1996 am nämlichen Theater bereits als Otto Weininger
in Sobols »Weiningers Nacht«. Er hatte einen verklemmten, introvertierten
Selbstmörder zu spielen, und er machte das sehr genau, sehr plastisch.
Phantastisch seine Wandlungsfähigkeit. Sein Truffaldino in stilisiertem Flickenkostüm:
gelöst, quicklebendig und von hinreißendem Esprit.
Regisseur Franz Matter erleichtert komödiantische Entfaltung mit viel
Phantasie für situative Einfalle und mit ausgezeichnetem Gespür für Präzision
trotz Tempo. Wenn man den Zuschauerraum betritt, sind die Spieler noch
aufgeregt dabei, letzte Hand anzulegen, Vorhänge mit gemaltem Fenster und
Balkon zu richten (Bühnenbild Denise Sheila Puri). Truffaldino huscht herum, putzt hastig ein paar Sitze, gibt Besuchern
Hinweise zu ihren Plätzen. Flugs wird der Vorhang erst einmal zugezogen. Musik.
Los geht das Spiel.
Ursprüngliches Volkstheater. So kann es
beschaffen sein. Wenn ich bedenke, wie oft derzeit in Berlin mit abgeklimperten
Modernismen arrogant am Zuschauer vorbeigespielt wird und sich exhibitionistische
Armseligkeit spreizt, dann ist's höchst angenehm zu registrieren, daß auch
ästhetischer Widerstand geleistet wird. Dieser »Diener zweier Herren« im
Schloßpark-Theater ist zünftig kommunikationsfreudig. Und er ist es mit regiehandwerklich
gekonntem Einsatz auch konventioneller Theatermittel. Wobei die so locker und
unmittelbar geliefert werden, daß sie einem frisch vorkommen, gar nicht
verstaubt.
Schon die komische Grandezza, mit der de Nardos
Truffaldino sich Herrn Pandolfo (Alberto Fortuzzi kauzig-spröde) vorstellt, ist
prächtig, übrigens hier wie auch später an den quirligen Arlecchino Ferruccio
Soleris in Strehlers berühmter »Diener«-Inszenierung am Piccolo Teatro Mailand
erinnernd. Frappierend de Nardos Fähigkeit, sich den Situationen genregenau zu
stellen, sie auszukosten und sie komisch zu brechen. Betreten und leicht
geduckt schleicht er ab, wenn er von einem seiner Herren eine Kopfnuß bekommen
hat, ungebrochen guter Laune saust er wieder herein. Die Servier-Arie mit
artistischen Einlagen - auch vom Küchenpersonal - ist herrlich übermütig. Wenn
Truffaldino den Pudding vertrauensvoll erst einmal beim Souffleur deponiert,
aber nur einen Rest zurückbekommt, ist das einer der zahlreichen Momente dieser
herzhaft lebendigen Inszenierung, wo staunende große Augen mehr sind als nur
ergötzendes Spiel. Der arme Schlucker ist da plötzlich, die gebeutelte Kreatur.
Das Ensemble ist bester Spiellaune. Meriam Abbas als
kecke Dienerin Blandina, Gina Pietsch als robuste Wirtin, Hildegard Schroedter
als trotzköpfige Rosaura, Andrea Nürnberger als hinter einem steifen Federico
Rasponi versteckte Beatrice. Und die Herren: Olaf Grund (Silvio), Philippe
Roussel (Florindo) und Michael Schindlbeck (Dr. Lombardi).
Neues
Deutschland, 16. Dezember 1996