„Der Diener zweier Herren“ von Carlo Goldoni
am Deutschen Theater Berlin, Regie Niels-Peter Rudolph
Truffaldino ohne Maske – ein zermürbter,
armer Schlucker
Dieser
Truffaldino wird in die deutsche Theatergeschichte eingehen. Als umstritten. Als
Carlo Goldonis „Diener zweier Herren" nicht gemäß. Oder als großartiger
Versuch, mit der klassischen Zanni-Figur der italienischen Commedia dell'arte gegenwärtige
soziale Befindlichkeit einzufangen und damit in Kommunikation zu kommen mit dem
sich umschichtenden Publikum des Berliner Deutschen Theaters.
Den Truffaldino gibt Dieter Mann. Er
lebt ihn. Er erleidet ihn. Er stemmt sich mit ihm, zermürbt zwar und
seelisch geknautscht, gegen die Welt, in die er über eine Mauer immerhin mit
einem scheuen, aber erwartungsfrohen „Hallo" einsteigt.
Wenn er das kompakte Spielpodest betreten
will, das ihm Bühnenbildner Götz Loepelmann hingebaut hat, blenden Scheinwerfer
grell auf und nehmen ihn erbarmungslos ins Licht. Er hat Hunger. Er muß sich
irgendwie verdingen. Da hilft kein Ballen der Faust.
Dieser unrasierte Truffaldino im abgewetzten
Straßenanzug und mit verbeultem Hut ist der urbildliche Plebejer, der Pendler
zwischen Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit, der ewig zu kurz kommende arme Schlucker.
Er wird von Niels-Peter Rudolph (Jahrgang
1939, Regisseur u. a. in München, Stuttgart und Basel, mehrfach erfolgreich
beim Berliner Theatertreffen) mit einer Spielsphäre konfrontiert, die durchaus
die der Commedia ist, doch zugleich wunderlich verschroben. Jedenfalls nicht
mehr heil und fidel wie zu Goldonis Zeiten, sondern schrundig und ganz klein
wenig absurd wie per Zufall von Beckett vermacht.
Sich darin zu integrieren, fällt dem
geistig zwar vifen, aber körperlich gar nicht behenden Truffaldino Dieter Manns
schwer. Doch er packt die Gelegenheit beim Schöpf.
Fröhliche Ausgelassenheit beim Bewältigen
des doppelten Arbeitsverhältnisses kommt freilich nicht auf. Schicksalsergeben
beugt er den Buckel für die Schläge. Da ist einer, der sich, der Not
gehorchend, anzupassen sucht, ohne das Gesicht zu verlieren.
Frappierende ästhetische Konsequenz:
Auf die überkommene Halbmaske der Commedia dell'arte ist verzichtet.
Truffaldinos Miene ist offen. Sie zeigt jedes Gewitter der Seele, zeigt den
Widerhall des Tages Mühsal, zeigt Überlebenswillen. Das erinnert im komischen Spiel immer wieder Welt und Gegenwart. Das
schafft Anteilnahme.
Auch für die übrigen Figuren ist das
maskenlose Agieren von Vorteil. Es bringt Gewinn im schauspielerischen Detail. Reimar Joh. Baur gibt fulminant einen urwüchsig gemütlichen Pantalone. Seine verknitterte Tochter Clarice ist bei der drastischen Eva Weißenborn
in besten Händen.
Horst Hiemers Dottore ist ein auf schnelle
Hochzeits-Abwicklung bedachter Vater, sein Sohn Silvio bei Sven-Eric Just ein
überkandidelt geckenhafter Burschenschafter. Daniel Morgenroths Liebhaber Florindo
strahlt strotzende Männlichkeit aus, Franziska Hayners Beatrice ist von
behäbig-drallem Liebreiz. Die Smeraldina der Simone v. Zglinicki hat
eine schöne naive Aufmüpfigkeit. Der schiefmäulige Koch von Sewan
Latchinian ist eine Nummer für sich. Hier spielt einer nebenher vor, wie das
Gaudi bei Goldoni auch laufen kann. Hinreißend, wie er dem Truffaldino
das Obst zuwirft, das der mit der Bratpfanne hurtig verteilt wie Tennisbälle.
Bei dieser Art zu servieren wird deutlich,
daß das Geschehen partiell denn doch mehr Dynamik vertragen könnte, daß es sich
gelegentlich gar verzettelt.
Wenn Niels-Peter Rudolph, der seine
eigene, humorig angereicherte Spielfassung inszenierte, noch einmal straffend
Hand anlegt, dürfte der Aufführung ein auffälliger Platz in der deutschen
Theaterlandschaft gewiß sein.
Sehr herzlicher Beifall.
Bravo-Rufe.
Ich sah die zweite Vorstellung.
Neues
Deutschland, 4. Januar 1991