„Die Sache Danton“ von Stanislawa Przybyszewska an der Berliner Volksbühne, deutschsprachige Erstaufführung, Regie Frank Castorf

 

 

 

Amboß oder Hammer

 

Mit einem Manuskript in der Hand und im Kostüm trat Frank Castorf, der Intendant des Hauses, vor die Rampe. Verblüffung. Gelächter. Das Dilemma so locker wie möglich umschreibend, verkündete er, der Wurm stecke in der „Sache Danton", zu deren Besichtigung man erschienen war. Henry Hübchen, der den Danton spielen sollte und wegen dessen Erkrankung die Premiere schon einmal hatte verschoben werden müssen, war auf der Hauptprobe so unglücklich gestürzt, daß er das Bett hüten muß (wir wünschen ihm baldige Genesung). Um den Abend zu retten, auch, um die Sache „loszuwerden", habe er, ansonsten Regisseur der Inszenierung, sich entschlossen, die Rolle einzulesen. Castorf sagte es und stakte schweren Schrittes nach hinten. Beifall.

Sodann nahm das Ereignis Aufführung seinen Lauf wie eine schließlich und endlich losgetretene Revolution. Es geriet zwar nicht außer Kontrolle, machte sich nicht selbständig nach ehernem Gesetz, „es zu erkennen das Höchste, es zu beherrschen unmöglich" (Georg Büchner), fraß auch seine Kinder nicht unbedingt auf, ging aber aus allerlei Fugen. Was vom Spielleiter als grimmige Revolutions-Farce konzipiert war, machte er als berlinernder Danton unfreiwillig zur Provinz-Posse. Daher sei hier schon angekündigt, daß über Hübchen als Danton und damit über die eigentliche geistige Stoßkraft dieser Aufführung, über Tragik und Komik, zu gegebener Zeit zu berichten sein wird.

Dennoch Anerkennung für die Courage, den Abend zu wagen. Zumindest nach der Pause schien sich mir viel von dem herzustellen, was da gewollt war: nämlich zwar die Handlungen der Revolutionäre erbarmungslos komisch-sarkastisch in Frage zu stellen und dabei keine groteske Übertreibung zu scheuen, aber hinter der Farce sehr ernsthaft alle historische Widersprüchlichkeit schaubar und spürbar zu machen, die einer Revolution nun einmal naturgegeben innewohnt. Um wieder mit Büchner zu sprechen: „Der Einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz..."

Freilich nicht Georg Büchner wurde gegeben, sondern in deutscher Erstaufführung das Schauspiel „Die Sache Danton" der Polin Stanislawa Przybyszewska (1901 bis 1935). Und dies nicht in ungestrichener Fassung, was einen Text von 300 Seiten Länge ergeben hätte, sondern in gründlicher Bearbeitung Castorfs, was einen vierstündigen Abend in bewährter Mixtur von Anspruch und Trivialität erbrachte. Der Regisseur mischte das Material aus heutiger gnadenlos desillusionierter Sicht gehörig auf. Die Revolutionäre nicht nur als Menschen wie du und ich, beispielsweise als ganz ordinäre Liebhaber und Ehemänner, sondern eben auch und extraordinär als typische Politiker, und zwar egoistisch auf Macht versessen. Ursprünglich vielleicht nicht einmal gewollt, geraten sie in einen Sog, der sie, hat er sie erst einmal erfaßt und nach oben gebracht, den Mechanismen des Herrschens unterwirft.

Abstrakte, großräumige und glatte Flächen und Bögen, Ecken und Kanten nur auf der rechten Seite, bilden die Szenerie (Bühnenbild Hartmut Meyer). Darin agieren die Figuren in historisierenden Kostümen wie aus einem Panoptikum entlaufen, wie verlebendigte Abziehbilder nicht der Geschichte, sondern willkürlich interpretierender Historiker. Mensch, Schema und Klischee durchdringen sich ständig. Mal schaut das Gesicht hervor, mal eine Fratze, mal eine Maske. Abgesehen davon, daß Fäkalien aus der Pariser Kanalisation eine exklusive Rolle spielen. Bei aller Turbulenz, bei aller Akrobatik - das Spiel findet immer wieder ins Zentrum. Und das heißt Realismus.

Castorf führt Robespierre (Herbert Fritsch) ein als einen unter dem Pantoffel seiner Eleonore (Astrid Meyerfeldt) stehenden Mann. Eine Bewegung, die er angeschoben hat, beispielsweise eine überdimensionale Wand, kriegt er mal gerade noch wieder in den Griff. Sobald sie aber erneut ins Rollen kommt, wird er mitgeschleift. Fritsch agiert a priori als skurril-spießiges Schulmeisterlein. Spitzweg und Grabbe scheinen Pate gestanden zu haben. Meist schleicht er langsam und melancholisch mang die Kulissen. Was ihn zur Macht treibt, ist ein fatalistisches Schicksal, vertreten von St. Just, der von Silvia Rieger vordergründig verschroben-exaltiert als smartes Stehaufmännchen, hintergründig diabolisch als Chef des Geheimdienstes und intellektueller Drahtzieher geboten wird. Daß Robespierre und Danton eigentlich zusammengehören, demonstrieren sie mit einem flotten Zweier am Rande eines tiefen Lochs. Auf dem Gipfel der Macht entpuppt sich Robespierre als ein schlaffer Trottel, der nach seiner Suppe greint, die ihm die besorgte Eleonore ins Maul stopft. Den Staatsanwalt Fouquier-Tinville (Martin Olbertz) erpreßt er unnachgiebig, denn inzwischen ist er dem Dispoten-Zynismus verfallen. Am Ende fragt er leergebrannt nach dem Volk und dessen Rolle in all dem Treiben. Seine Eleonore, die sich inzwischen für de Sade (Hendrik Arnst) interessiert, kennt das Geheimnis. „Aufn Traktor", meint sie, „oder drunter!" Amboß oder Hammer.

 

 

Neues Deutschland, 28. November 1994