Bertolt Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ / Premiere
vor 50 Jahren im Deutschen Theater Berlin
Von großer Kühnheit
Heute vor fünfzig Jahren öffnete sich im Deutschen Theater Berlin die Gardine zur Aufführung der epischen Chronik »Mutter Courage und ihre Kinder« von Bertolt Brecht; erzählend vom Schicksal der Marketenderin Anna Fierling im Dreißigjährigen Krieg. Das Stück war 1939 in den USA entstanden, gedacht als Warnung vor dem Aggressions-Krieg Hitlers, uraufgeführt von deutschen Emigranten 1941 am Zürcher Schauspielhaus. In Berlin nun hatten der Dichter und Erich Engel Regie geführt, in der Titelrolle agierte Helene Weigel. Glücklich notierte Brecht unter dem 11. 1. 49 in seinem Arbeitsjournal: »die courage-figur hellis jetzt herrlich, von großer Kühnheit.«
Wenige Tage zuvor, am 6. 1. 49, hatte Brecht seinem
Journal frustriert anvertraut: »werde aus der probe zum neuen oberbürgermeister
berlins geholt, wo, im beisein von langhoff und wisten, dem bisherigen intendanten
des schiffbauerdammtheaters, über mein theaterprojekt... gesprochen wurde. der
herr oberbürgermeister sagte mir weder guten tag noch adieu, sprach mich nicht
einmal an und äußerte nur einen skeptischen satz über ungewisse projekte, ...
zum erstenmal fühle ich den stinkenden atem der provinz hier.«
Immerhin hatte auf nämlicher Besprechung Wolfgang
Langhoff dem Dichter sein Haus für Gastspiele des zu gründenden Berliner
Ensembles angeboten. Und nach dem großen Erfolg der Inszenierung blieb das
Deutsche Theater Domizil für die neue Truppe bis 1954, als Fritz Wisten in die
wieder erbaute Volksbühne umzog und das Berliner Ensemble ins Theater am
Schiffbauerdamm. Inzwischen hatte die Aufführung auch international Ruhm
erlangt. Indessen: Kaum eine Inszenierung belegt so bitter die Ohnmacht des
Theaters.
»Der Krieg soll verflucht sein!« - die Verwünschung der
Courage, die ihre drei Kinder im Krieg verliert, war dem Berliner Ensemble ein
geradezu heiliges Motto. Stolz schrieb Brecht zum 1. Mai 1950 an Helene Weigel: »Das Theater des neuen Zeitalters ward eröffnet, als auf die Bühne des zerstörten Berlin der
Planwagen der Courage rollte. Ein und ein halbes Jahr später im
Demonstrationszug des 1. Mai zeigten die Mütter ihren Kindern die Weigel und
lobten den Frieden.« Ein neues Zeitalter? Und Friede?
Der Friede war schon wieder unsicher geworden. Im
September 1949 hatte Adenauer Deutschland mit der Gründung der Bundesrepublik
gespalten und die Ostdeutschen außen vor gelassen, die zum Spielball der
Siegermächte wurden. Der Wiederaufrüstung West folgte die des Ostens. Und
Brecht konstatierte 1955: »Das Stück ist heute kein Stück mehr, das zu spät
gekommen ist, nämlich nach einem Krieg. Schrecklicherweise droht ein neuer
Krieg. Niemand spricht davon, jeder weiß davon. Die große Menge ist nicht für
den Krieg... Ich möchte gern wissen, wie viele der Zuschauer von >Mutter Courage
und ihre Kinder< die Warnung des Stücks heute verstehen.«
Die Antwort fällt schwer. Die Inszenierung blieb bis in den April 1961
auf dem Spielplan und erlebte 405 Aufführungen. Zur 100. Aufführung im September
1951 hatte es eine Umbesetzung gegeben. Den Feldkoch spielte nun Ernst Busch (bis
dahin Paul Bildt), den Feldprediger Erwin Geschonneck (bis dahin Werner Hinz).
Zudem hielt ein ästhetischer Streit das öffentliche Interesse wach. Zur
Uraufführung in Zürich hatte die Presse von einer Niobetragödie und von der
erschütternden Lebenskraft des Muttertieres gesprochen. Solch kritiklose Einfühlung
hatte Brecht in Berlin verhindern wollen. Denn: Die Courage verflucht zwar den
Krieg, aber sie glaubt an ihn bis zuletzt. »Es geht ihr nicht einmal auf«, schrieb
Brecht, »daß man eine große Schere haben muß, um am Krieg seinen Schnitt zu
machen.« Daß seine Courage nicht sehend wird, warf man ihm vor. Und er
antwortete, ihm komme es darauf an, »daß der Zuschauer sieht«.
Haben die Deutschen etwa doch »gesehen« und Brechts Warnung verstanden?
Verdienen sie etwa nicht mehr »mit großer Schere«, sprich Waffengeschäften, an
den Kriegen dieser Welt? Immerhin haben sie sich seit 1945 den Frieden bewahrt,
selbst bei solch schwieriger Prozedur wie der Überwindung der Spaltung. Hat sie
die Courage, diese Kunstfigur von großer Kühnheit, friedfertig gemacht? Zwar
ist's höchst unwahrscheinlich, aber glauben wir einfach einmal daran.
Wenigstens heute.
Neues
Deutschland, 11. Januar 1999