„Das
Erdbeben-Concerto“ von George Tabori am Berliner Ensemble, Regie George Tabori
Wenn
Musikinstrumente sprechen könnten, gäb’s wahrscheinlich in etwa zu schauen und
zu hören, was jetzt der greise George Tabori (Jahrgang 1914) in der Probebühne
des Berliner Ensembles als Autor und Regisseur uraufführend in Szene setzte. Das
„Erdbeben-Concerto“ der Theater-Legende Tabori ist indessen nicht nur das
fiktive Seelen-Konzert von Musikinstrumenten, sondern versinn-bildlicht recht
eigentlich das absurde existentielle Sein von verrückten Menschen, die in einem
Irrenhaus sozusagen endgültig auf den Hund gekommen sind, sich also auch dementsprechend
hündisch aufführen. Und dies, wie bereits der Titel verspricht, alles während
eines Bebens, das die Erde nicht etwa wie üblich für Sekunden rüttelt und
schüttelt, sondern jeweils theatralisch gründlich (ganze Arbeit von
Bühnenbildnerin Etienne Pluss). Nicht nur die Wände fallen um und auseinander
und eine Lampe löst sich aus der Verankerung, es qualmt auch aus dem Klavier
und stürmt aus dem Hintergrund.
George Tabori
hat sich auf seine alten Tage, - sei’s
ihm gegönnt, denn solch Glück widerfährt nicht jedem Veteran -
ein Vergnügen geleistet, das er entsprechend auskostet. Der sarkastisch-komödiantische
Schlaukopf verrät uns auf seine Weise, dass „Instrumente“, wenn sie denn in die
Klapsmühle gesperrt sind, nicht klüger oder dämlicher empfinden, denken und
schwätzen als der Mensch im Leben ohnehin.
Da zelebrieren
das Klavier (Boris Jacoby) und die Violine (David Bennent) die uralte, biblisch
belegte Hassliebe zwischen Brüdern. Der Kontrabass (Axel Werner) darf ein
menschelnder Kampfhund sein, was einen anderen Hund, das Cello (Ursula
Höpfner), in liebendes Entzücken verfallen lässt. Die Posaune entpuppt sich als
Französin und wird wegen widrigem Husten eingeliefert (was Margarita Broich
sehr glaubwürdig vorführt). Die Schädlichkeit des Rauchens demonstriert
grässlich hustend und rülpsend die grimassierende Sängerin (Eleonore Zetzsche).
Hanebüchener
Schwachsinn (schließlich ist man im Irrenhaus) neben hübschen Geistesblitzen.
Etwa der: „Ich weiß nicht, was Freiheit ist, das ist das Schönste!“ Oder: „Und
der Schwarze hat ein Messer / Und das trägt er im Gesicht. / Doch der Weiße
weiß es besser / Bis der Scheiß zusammenbricht.“ Aktuelle Themen aufgegriffen,
fallen gelassen. Über Aids wird geredet, über Krieg. Witze werden gerissen. Der
Stumpfsinn vor der Klotze wird gezeigt. Auch wird versucht, aus dem Käfig, dem
Irrenhaus, dem Theater auszubrechen
- was schief geht.
Das aber ist
das Schöne am Leben. Es findet statt! Auch wenn es noch so beschissen ist. Und
obwohl die Erde ständig bebt. Ob allerdings die Musik alles überlebt, wie die
Sängerin behauptet, scheint mir denn doch höchst unwahrscheinlich, wird sie
doch von Menschen gemacht...
Neues
Deutschland, 18./19. Mai 2002